profilm.de Zeitzeugenberichte Zusammenfassung

Brief eines Luftwaffensoldaten an ein ihm unbekanntes
berliner Fräulein

                      29. X. 1942
Liebe Klärli!
    Das ist allerdings kein
Sonntagsbrief heute, denn
wir haben einen Donnerstag, es
sei denn, er kommt an einem Sonn=
tag bei Dir an. Damit dieses Briefchen
den sogenannten Sonntagsbriefen nicht
nachsteht, habe ich es etwas verschönert,
man kann auch sagen, mit Liebe an-
gefertigt. Und warum schreibe ich Dir
schon heute? Ich wollte die Antwort
auf Deinen netten Brief vom 19. Okt.
nicht bis Sonntag verschieben. Ja, der
Brief von Dir kam ganz unerwartet, hatte
ich doch erst einige Tage davor einige Zei=
len von Dir erhalten, habe vielen Dank
dafür. Wenn etwas unerwartet kommt,
dann ist die Freude darüber selbst=

verständlich umso größer. In Deinem
Zimmer hast Du einen kleinen Gesell=
schafter, dann bist Du ja nie mehr
alleine! Eigentlich ist es schade, daß
es keine großen Zauberer mehr gibt,
sonst hätte ich mich für kurze Zeit
in diesen Wellensittich verwandeln lassen.
Ich hätte Dich natürlich auch nicht
in Ruhe gelassen. Der Gedanke etwas
Vorrat zu schlafen ist übrigens nicht
schlecht von Dir, denn wenn Du Dich
meiner anvertraust wenn ich in Berlin
bin, dann sieht es schlecht aus mit
dem Schlafen! Ganz schlimm wird
es aber nicht, denn dem holden Ge=
schlecht gegenüber bin ich immer sehr
rücksichtsvoll. Es kann also sogar bei
uns umgekehrt kommen, daß ich mich
Deiner anvertraue, wobei ich wohl

nichts zu befürchten habe, hoffe ich doch,
daß Du recht sanft mit mir umgehst,
oder beruht alles auf Gegenseitigkeit bei
Dir? Geburtstag hatte ich schon zur Zeit
unserer Bekanntschaft, an einem herrlichen
Sommertag, am 13. Juni bin ich 24
Jahre alt geworden. Eine Geburtstagsvor=
feier macht man nicht, ich dachte, viel=
leicht bin ich beim nächsten Geburtstag
schon mausetot, dann habe ich wenigstens
die Feier noch mitgemacht!! Von der Be=
erdigungsfeier hat man sowieso nichts.
Unser 'Rendez-vous' wird ganz groß, hof=
fentlich hast Du den nachzuholenden
Brüderschaftskuß nicht vergessen! Wunsch=
gemäß werde ich in Uniform kommen.
Wollen wir uns auf ganz romantische
Art und Weise treffen? Du kaufst zwei
numerierte Theater= oder Kinokarten,

schickst mir eine davon nach Hause
zu und an dem betreffenden Tag
sitze ich dann wie vorgesehen neben
Dir, das ist das 'Tempo unserer Zeit'.
Jedenfalls freue ich mich schon auf
die Stunden mit Dir, bis dahin
heißt es warten und nochmal war=
ten. Und nun will ich für heute
wieder schließen. Viele herzliche Grüße
sendet Dir Dein
                     Ulli



     


© Horst Decker