Papier- und Strohkordel während und nach dem 2. Weltkrieg


Beachtet man, dass bereits vor Kriegsende Nägel, Schrauben und Leim absolute Mangelware waren und dieser Mangel erst in der Zeit der Währungsreform 1948 langsam abgebaut wurde, so wundert es nicht, dass man notgedrungen einen hohen Bedarf an Bindematerial hatte. Aber hier sah es nicht besser aus. Draht war ebenfalls Mangelware und Hanfkordel war genauso knapp, waren doch alle Spinnstoffe, die ja aus den gleichen Ausgangsprodukten wie Bindfäden bestanden, bereits seit mindestens 1944 in hohem Maße rationiert gewesen.,
So setzte selbst die Wehrmacht mangels anderer Gewebefasern gegen Kriegsende Nesselstoffe ein, also Stoffe, die aus den Fasern von Brennnesseln gewonnen worden waren. Auch die sogenannten 'Mullbinden' der Verbandspäcken der deutschen Soldaten bestanden ab 1944 überwiegend aus Krepppapier.


Wehrmachts-Verbandspäckchen, Herstellung 1945, Gaze-Verpackung und Binde aus Krepppapier

Und aus Papier wurde dann auch ein hoher Prozentsatz der dringend benötigten Kordel gemacht. Trockenes Papier weist eine relativ hohe Reißfestigkeit auf. So befindet sich in unserer Sammlung ein Hocker, dessen Sitzfläche mit Gewebeband und Papierkordel gewebt wurde.


Bauern, aber auch einige Privathaushalte besaßen Kordeldrehmaschinen, die vor 1900 zum Hausrat und bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts noch zum Bestand vieler Landwirtschaftsunternehmen gehörten. Privatpersonen drehten damit aus gesponnenen Leinenfäden Schnüre für den Hausgebrauch und für Handarbeiten, Bauern Schnüre und Stricke für die Landwirtschaft, sowie Strohzöpfe zum Binden und zum Herstellen von Strohschuhen.
Diese einfachen Geräte, die aus einem kleinen Kurbelgehäuse mit Tischklemme bestanden, das zwei gegenüber der Handkurbel befindliche Haken drehte, ließen sich natürlich auch zur Herstellung von Papierkordel benutzen. Kleine Stücke Kordel konnte man alleine anfertigen. Wollte man aber ein längeres Stück Kordel herstellen, so benötigte man zumindest eine Hilfskraft, besser jedoch zwei Hilfen.

Prinzip der Papierkorderherstellung

Das Papier wurde zu etwa 1-2cm breiten Streifen geschnitten. Zwei Streifens wurden mit einem Ende an jeweils einen der Haken gebunden und dann jeweils nur in sich verdrillt. Bei kürzeren Kordelstücken, war es einfacher, neue Streifen an der offfenen Seite anzufügen und einzudrillen. Längere Stücke wurden mit den losen Enden getrennt auf einer Haspel aufgespult und an der Hakenseite neu angesetzt. Wenn die beiden Streifen fein verdrillt und etwas länger als benötigt waren, wurden einer der beiden vom Haken gelöst und zu dem anderen dazu geknüpft. Dann wurden beide Papierstränge in der Gegenrichtung verdrillt. Würde man sie in der gleichen Richtung verdrillen, so würden sich die Torsionsspannungen der beiden Verdrillungen addieren, was dazu führt, dass sich das Kordel beim Loslassen eines der Enden zu einem wilden Kneuel verfilzt. Durch das gegenläufige Drehen heben sich die Torisionskräfte auf.

Industrielles Papierkordel ist allerdings meistens in die gleiche Richtung verdrillt. Ev. wurde es während des Herstellungsprozesses angefeuchtet, um durch Erhöhung der Dehnfähigkeit das Auftreten von Drehspannung zu minimieren. Generell verliert sich bei Herstellung entstandene Spannung bei Papierkordel schlicht dadurch, dass es lange genug aufgespult bleibt. Anscheinend erhält Papierkordel durch gleichgerichtetes Verdrillen eine glattere Oberfläche, denn gewerblich gefertigte Papierkordel fällt jedem auch nur wenig Geübten wegen der gegenüber normaler Kordel sehr glatten Oberfläche sofort ins Auge.

Es ist nicht geklärt, woher die Verfügbarkeit von Papier kommt, denn auch Papier war in der Nachkriegszeit Mangelware. Durch den hohen Holzeinschlag zur Herstellung von Munitionskisten etc. im 2. Weltkrieg, stand kaum noch Holz zur Papierfaserherstellung zur Verfügung. Behördliche Schreiben der Zeit sind nicht selten auf Rückseiten von Formularen der NS-Zeit ausgeführt. NS-Formulare wurden mit überstempeltem Hakenkreuz teils - z.B. im Frachtverkehr der Bundesbahn - noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts weiterverwendet. Der wirtschaftliche Aufschwung der 50er Jahre war nicht zuletzt Ergebnis der Sparsamkeit des Staates, wodurch die Steuerlast in erträglichem Maße gehalten werden konnte und den Konsum der Bürger und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Handel und Gewerbe nicht übermäßig eingeschänkte.


Briefumschlag, hergestellt aus Wehrmachts-Landkarte von Russland, 1949




Allerdings war es zur Kordelherstellung egal, ob man beschriftetes oder unbeschriftetes Papier verwendete. Und in der Tat stellt man bei Aufdrehen von Papierkordel fest, dass es mitunter aus Schriftstücken aus Akten hergestellt wurde. Man kann nur vermuten, dass auf diese Art auch einige verfängliche Dokumente der NS-Zeit 'verdreht' wurden, denn im Gegenzug ist es auffällig, dass selbst in Gemeindearchiven, die bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichen häufig genau alle Belege der Zeit 1933-1945 fehlen.



Original Kordel aus Papier, 1945-1948



Nun ist es einer Kordelmaschine ziemlich egal, welches langfaserige Material damit verarbeitet wird. So wurden, gerade auf Bauernhöfen, mit solchen Maschinen auch lange Stroh-Kordel gedrillt, die dann nach traditionellen Techniken zu Schuhen vernäht wurden. Da Zwangsarbeiter im 3. Reich als Ersatz für ihre mitgebrachten Schuhe nur unbequeme und schlecht sitzende Holzschuhe für die Arbeit zugewiesen bekamen, fertigten sich insbesondere französische Kriegsgefangene, die auf deutschen Bauernhöfen arbeiteten, oft bequemere Strohschuhe und brachten ihren deutschen Herren damit unter Umständen eine alte Technik wieder nahe, die dann in der Nachkriegszeit vielfach wieder angewendet wurde.


Original Strohschuhe, 1945-1948, hier allerdings aus geflochtenen Strohzöpfen genäht.

weitere Beispiele folgen

© horst decker