Tipps zum Schreiben von Lyrik

'Drei Dinge braucht der Mensch', ein altes Sprichwort. Nicht alles, was seit ehedem gesagt wird, muss heute auch noch gültig sein. Der moderne Mensch kommt sicher auch auf einer einsamen Insel nicht mehr mit nur drei Dingen aus.
Aber für einen Prosaiker oder einen Lyriker trifft dieses Sprichwort noch zu.
Er benötigt drei Dinge, damit man seine Werke liest. Er braucht Talent zum Umgang mit der Sprache, er muss (noch) Wissenswertes oder Emotionales mitzuteilen haben und er benötigt Fleiß.
In welchem Verhältnis sich die Fähigkeiten aufteilen müssen, hängt von der Situation ab, in der sich der Schriftsteller befindet.
Um es schlicht zu sagen, ein Schriftsteller, dem wie auch immer der erste Schritt gelungen ist und der bereits wirtschaftlichen Erfolg hat, muss nicht unbedingt mehr fehlerfrei arbeiten. Seine Fehler werden von einem Lektorat berichtigt, auf dramaturgische Schwachstellen wird er hingewiesen und zur Stoffentwicklung erhält er Verbesserungsvorschläge. Schließlich will und benötigt der Verlag den Text und er soll natürlich kommerziell ein Erfolg werden.

Anders sieht es bei Newcomern aus. Überragt der Text nicht den Durchschnitt durch eine direkt erkennbare brillante Idee, einen völlig ungewöhnlichen Aspekt oder verblüffende Wortartistik, so reicht einziges falsches Wort, ein kleines Holpern an einer Stelle und der Text wird abgelehnt. Niemand macht sich die Mühe ihn zu korrigieren oder einen Verbesserungsvorschlag zu machen. Zu groß ist bei Verlagen und Wettbewerben die Flut der Zusendungen, dass die Zeit hierzu ausreicht, sich in einen Text mit Mängel so weit einzulesen, bis sich herausstellt, ob die positiven Ansätze überwiegen.

Hier soll es der Website entsprechend aber um Lyrik gehen. Nun verbinden viele Bürger den Begriff 'Lyrik' mit gereimten Versen. Ganz einfach, weil sie in der Schule fast ausschließlich mit gereimter Lyrik in Berührung gebracht wurden, ältere Bürger regelmäßig lange, lange Gedichte und Balladen auswendig lernen mussten.
Dabei ist die klassische Lyrik ungereimt. Der Kern der Lyrik ist nämlich das Versmaß, das heißt, die Regelmäßigkeit der Folge betonter und unbetonter Silben. Selbst wenn man also darauf achtet, dass jeweils korrespondierende Zeilen der verschiedenen Strophen die gleiche Silbenzahl haben, klingen sie unterschiedlich wenn darin Worte mit anderen Betonungen benutzt werden.
Dass sich dann innerhalb der Strophen Zeilenenden nach bestimmten Mustern reimen, ist aus klassischer Sicht kein Hinweis auf Dichtkunst!, sondern eine Ausschmückung des Gedichts.

Dennoch werden die meisten Lyriker Dichtkunst bevorzugen, die sich reimt. Das darf aber nicht darüber wegtäuschen, dass nach wie vor das Versmaß, also der gesprochene Rhythmus des Gedichts darüber entscheidet, ob das Gedicht gut oder schlecht ist.
Nun habe ich bewusst das Gedicht als gesprochenen Rhythmus bezeichnet, um die Nähe des gesungenen Rhythmus, nämlich des Liedes herzustellen. Ein Lied ist gut, wenn es 'ins Ohr' geht und sofort emotionale Wirkung erzeugt und zwar auch bei Personen, die der Sprache des Liedes nicht mächtig sind. Ich habe es in einem privaten Kreis erlebt, dass eine Frau ein Gedicht Puschkins auf Russisch vorgetrug und einer anderen Frau, die nichts außer Italienisch verstand, durch die Dramatik der Wortkraft dieTränen flossen!
Man kann daraus schließen, dass es für ein gutes Gedicht nicht einmal auf den Inhalt ankommt! So der Inhalt aber verständlich ist, so sollte er schon Sinn oder völligen, unverständlichen Unsinn machen, da er sonst störend vom Klang des Gedichts ablenken würde. Ich weise hier auf die Kunstrichtung des Dadaismus hin, dem es ausschließlich um Wortklang und Rhythmus ging, auf das Abstrahieren der Sprache, die damit weltumspannend und universell wurde.
Nun gibt es hierzu eine Gegenrichtung, auch das entspricht der Musik. Eine Dichtkunst, die das Anliegen hat, einen wichtigen Inhalt makellos zu übertragen. Das ist nur unter dem Aspekt möglich, dass man auf jeglichen Reim weitgehend verzichtet, da es wichtiger ist, den zu vermittelnden Inhalt zu treffen, als dass sich das Wort reimt. Schließlich ist es eher Zufall, wenn man einen absolut treffendes Reimpaar findet, das dann auch vom Inhalt durch keine besseren Worte ersetzt werden könnten. Auf die Dauer der Inhaltsvermittlung könnte das aber nicht schadlos für den Inhalt durchgezogen werden, weshalb man völlig auf den Reim verzichtet, der nur vom Inhalt ablenken würde. Das bedeutet auch, ein ungereimtes Gedicht sollte auch nicht zufällig doch ein Reimpaar haben. Das würde schlicht einen störenden Akzent setzen.
Wenn Sie mehrfach an Lyrik-Wettbewerben teilnehmen, so werden sie rasch bemerken, dass diese Reimkunst als zeitgemäße und moderne Dichtung gilt, eine Dichtung mit hohem inhaltlichen Anspruch und einem einheitlichen Sprachrhythmus. Mit gereimten Gedichten haben Sie bei einigen Wettbewerben keine Chance.
Das bedeutet aber nicht, das Sie Ihre eigene Überzeugung unterordnen müssen. Es bedeutet nur, dass Sie alle Freiheit haben, zu machen, was immer Sie wollen. Möchten Sie damit aber Anerkennung von anderen gewinnen, so muss zumindest der handwerkliche Teil stimmen und das bedeutet, die Strophen müssen ein, wenn es Ihnen beliebt sogar ungewöhnliches, aber innerhalb des Werkes exakt eingehaltenes Versmaß haben. Wie das Spiel eines Schlagzeugers in einer Band. In verschiedenen Liedern und zu verschiedenen Zeiten spielt er unterschiedliche Rhythmen, je nach dem, wie es zur Stimmung des Liedes passt. Aber innerhalb des Liedes weicht er keinen Jota vom begonnenen Rhythmus ab, es sei, ein spezieller und von anderen erkennbarer Effekt soll damit erreicht werden und wird es auch.
Natürlich findet sein Spiel niemals das Gefallen aller, aber doch einiger. Und wenn er Glück hat, sind diese Einige viele und für seinen weiteren Erfolg wichtig.

Wie prüfe ich nun aber, ob ich innerhalb eines Gedichtes den Rhythmus einhalte. Um es schlicht zu sagen, jeder Poet hat hier seine eigenen Technik.
Wenn man es kann, natürlich durch lautes Lesen des Gedichtes.
Man kann versuchen, das Gedicht zu singen. Kann man die gewählte Melodie und den Rhythmus über alle Strophen problemlos einhalten, so stimmt das Versmaß.
Eine Variante davon ist es, die Silben der Strophen mit der Zunge zu schnalzen. Hierbei hört man, losgelöst von den Worten recht gut, ob Silbenzahl und Versmaß stimmen.
Wer die Fähigkeit hat, sich auf zwei Dinge gleichzeitig zu konzentrieren, der liest die Stopfen laut, während er mit den Augen zusätzlich die jeweils entsprechenden Zeilen der ersten Strophe silbensynchron verfolgt.

Auch zum Reim gibt es einiges zu sagen. Wählen Sie als Endreimpaar Worte mit gleicher Wortbetonung und möglichst gleicher Silbenzahl. Verwenden sie so weit es geht gängige und moderne Worte. Lieber ein noch so schönes Wort verwerfen, wenn sich kein adäquates Reimpaar finden. Das kann unter Umständen bedeuten, eine komplette Strophe umzustellen oder komplett auf sie zu verzichten, nur weil man zu einer Zeile kein passendes Reimwort findet. Das tut weh, aber ist unumgänglich, denn ein falsches Wort zerstört die gesamte Strophe, wie gut sie vorher auch immer war. Dadurch ergibt sich auch der Unterschied zur ungereimten Lyrik. In der gereimten Lyrik muss man akzeptieren, gute Ideen, Super-Reimpaare und treffende Inhalte komplett fallen zu lassen, weil ein einziges, zeilenabschließendes Wort nicht in einer passenden Reimendung gefunden werden kann.

Hier finden Sie eine umfassende Anleitung zum Schreiben von Lyrik, in der auch die unterschiedlichen Erscheinungsformen erklärt werden.
Beschreibung der unterschiedlichen Formen der Lyrik

Hier noch ein Hinweis auf zwei recht gut brauchbare Reimlexika, eines in Buchform und eines als CD.
Beachten Sie hierzu meinen Hinweis, dass alle in den Lexika vorgeschlagenen Reime nur zu ganz bestimmten Aufgaben passen und oft gerade bei Ihrem Gedicht nicht!. Hüten Sie sich daher, einfach ein ungefähr passendes Wort zu nehmen, nur weil es sich eben reimt und vorhanden ist.
Oft findet man in solchen Büchern aber auch einen guten Reim oder das einfache Lesen der vorgeschlagenen Reime inspiriert dazu, selbst auf die Idee eines guten oder besseren Reims zu kommen. Und dann hat sich die Ausgabe für ein Reimlexikon bereits gelohnt.

Horst Decker

Reimlexikon in Buchform

Reimlexikon als CD