David und Dodo

(cr. Horst Decker - homepage

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Ab diesem Kuss war alles anders. Die Tage vergingen, und Davids Vater kam nicht zurück. Seine Mutter wurde still und ernst. Cathys Vater behandelte ihn auf einmal sehr kühl und betont höflich. David hatte das Gefühl, dass er es gar nicht mehr gerne sah, wenn er mit Cathy spielte. Aber Cathy stand zu ihm. Ja er hatte das Gefühl, je mehr sich seine Freunde von ihm zurückzogen, um so mehr ging Cathy auf ihn zu. Schließlich erzählte sie David, sie habe von ihrem Vater gehört, dass Davids Vater nun doch endlich zurückkäme, um den Umzug aus den Kasernen-Wohnblöcken zu organisieren.

Am nächsten Tag kam sein Vater wirklich. Den ganzen Tag hatte David am Fenster gestanden und auf die Heimkehr seines Vaters gewartet. Darauf gewartet, dass die Musik-Kompanie aufmaschierte, was untrügerisches Zeichen für die Heimkehr eines Offiziers war. Aber es geschah nichts. Dann sah David einen Mann, der beidseitig Militärkoffer aus khakifarbenem Leinen trug und mit gesenktem Blick quer über den Apellplatz auf ihren Wohnblock zusteuerte. Er trug Zivilkleidung und man nahm ihn in der Housing Aera praktisch nicht zur Kenntnis. Es war das Nachhausekriechen eines getretenen Hundes.
David rief seine Mutter, die zum Fenster stürzte und zu weinen anfing. Da wusste David, dass es sein Vater war, der zurückkam.
Seine Mutter gab sich einen Ruck, wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen, nahm ihn an den Schultern und schob ihn vor sich her zur Haustür.
Dort traf er zum ersten Mal mit seinem Vater zusammen. Sie sprachen kein Wort. Sie schauten sich kaum an. Dann nahm David-George seine Mutter am Oberarm und ging, ohne David weiter zu beachten, mit ihr in die Küche. Kurz darauf hörte er, wie sich seine Eltern heftig stritten. Dann kam David-George aus der Küche und ging auf David zu. Er reichte ihm die Hand und sagte in strengem Ton, 'na, es wird auch Zeit, dass wir uns kennenlernen,', dann drehte er sich um, und verschwand im Keller.

Nach einer Weile kam seine Mutter aus der Küche, nahm ihn in den Arm und sagte, ' komm David, wir müssen anfangen zu packen. Vater ist in den Keller gegangen und schaut nach Opas Sachen. Er wird uns kaum helfen können.'
Und wirklich. David-Georg kam erst abends wieder aus dem Keller zurück. Setzte sich zu ihnen an den Tisch um am Supper teilzunehmen. Dann ging er aus dem Haus, während David wie gewohnt mit seiner Mutter zu Bett ging.
Am nächsten Tage erzählte Cathy David, dass David-Georg zu ihrem Vater gekommen sei, dieser aber nur sehr kurz mit ihm gesprochen habe.

Sie packten eine Woche. Nicht weil sie so viel an Besitz hatten, sondern weil es schwierig war, Umzugskartons zu beschaffen. Jeden Morgen fuhr sein Vater mit einem geliehenen Handkarren zum US Camp am Flughafen. Die US-Regierung verlegte die Hälfte ihrer 4 Millionen im Krieg eingesetzten Soldaten zurück in die USA. Tag und Nacht flogen amerikanische Transportflugzeuge US-Soldaten von London zurück in ihre Heimat. Von denen erbettelte sich David-Georg die leeren C-Rations Kartons, die wenig später als Care-Pakete weltberühmt werden sollten. Manchmal kaufte er den Soldaten auch halbvolle oder gar volle Lebensmittelrationen ab, deren Inhalt er überwiegend wieder mit beachtlichem Gewinn auf dem Schwarzmarkt losschlug.
Und wenn Davids Vater nicht irgendetwas an der Airbase oder auf dem Schwarzmarkt organisierte, saß er im Keller und sortierte die Nachlassenschaft von Davids Großvater und verpackte alles sorgfältigt in C-Rations-Kartons.

Sie hatten nicht weit von der Kaserne eine neue Bleibe gefunden. Nicht vergleichbar ihrer komfortablen Offizierswohnung, sondern ein kleines ländliches Cottage am Stadtrand von London.
Cathys Vater hatte für den Umzug einen Militär-LKw organisiert. Er bezeichnete dies als Fürsorgepflicht der Army für einen ehemaligen Offizier, aber er ließ auch keinen Zweifel daran bestehen, dass die englische Armee selbst an einem schnellen und reibungslosen Wegzug seiner Familie interessiert war.

Am Vormittag ihres Umzugs ging David noch einmal mit Cathy zum nahen Flüßchen. Danach sah David sie für lange Zeit nicht mehr.

Sein Vater nahm einen Job bei einer Versicherungsgesellschaft an. Die Versicherung versprach sich sicherlich erhebliche Vorteile von seinen ehemals guten Kontakten zum englischen Offizierskorps und gaben ihm eine Bezirksdirektion. Aber die Umstände seiner Entlassung begünstigten seine Geschäfte nicht gerade. Sobald er in einer Offiziersiedlung auftauchte, schienen diese wie ausgestorben. Wo immer er klingelte war offenbar niemand zu Hause.
Das einzige, was er gut verkaufen konnte, waren Fahrradversicherungen, denn Fahrräder waren durch den Krieg knapp und sehr begehrt. Viele Bürger nahmen ihre Fahrräder nachts mit in die Wohnung. Dennoch verschwanden täglich Fahrräder im Versicherungsbezirk von Davids Vaters. Das war für die Betroffenen bitter, denn oft war der Familienvater darauf angewiesen, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, denn ein Auto konnte sich kaum jemand leisten. Aber auch eine neues Fahrrad war nur schwer zu finanzieren. Die Versicherung bezahlte nur den Zeitwert des Fahrrads. Und da praktisch alle im Verkehr befindlichen Räder noch aus der Vorkriegszeit, ja teilweise erheblich älter waren, reichte der Ersatz der Versicherung nicht, um eine neues Rad zu beschaffen.

Da besann sich Davids Vater seiner guten Schwarzmarktkontakte. Er hatte dort Bekannte, die konnten immer Fahrräder beschaffen. Woher, das wollte er überhaupt nicht wissen. Er strich den von der Versicherung bezahlten Schadensbetrag ein und ersetzte den Betroffenen das gestohlene Rad, nicht ohne ihnen zusätzlich noch modernste Sicherungsschlösser zu verkaufen.
Es sprach sich langsam in seinem Bezirk herum, dass er Dinge beschaffen konnte, die ansonsten selbst kaum auf Rationierungsmarken bezogen werden konnten.

Eines Tages kam Cathy. Sie hatte von Ihren Großeltern ein altes Fahrrad geschenkt bekommen. Die Reifen waren beide platt und Cathys Großvater hatte beide Fahrradmäntel mit dicker Kordel umwickelt, damit sie nicht von den Felgen fielen. Fahren konnte man mit ihm daher nur sehr langsam. Vergeblich hatte Cathys Vater versucht Flickzeug oder neue Fahrradschläuche zu erhalten. Dann hatte er Cathy davon erzählt, dass er gehört hatte, dass man über Davids Vater Erstatzteile beschaffen konnte.
Nun stand Cathy auf einmal vor ihrem kleinen Haus. Davids Vater wollte sie gar nicht sehen und schickte David hinaus. Es war für David, als hätten sie sich nie aus den Augen verloren. Er spürte, wie sein Herz bebte. Cathy brauchte ihn nicht lange zu bitten. Im Keller hatte sein Vater ein richtiges Fahrradlager. Er nahm sich zwei Fahrradschläuche aus dem Bestand seines Vaters. Unzählige Male hatte er seinem Vater bereits zugeschaut und mit Hand angelegt, wenn dieser alte Fahrräder wieder verkaufsfähig machte. Es dauerte daher nicht lange, und Cathys Fahrrad war wieder fahrbereit.

Aber David hatte Wunden davon getragen. Als er die Achsmuttern des Hinterrads noch einmal richtig festziehen wollte, rutschte der Gabelschlüssel ab und Davids Hand schlug durch seine eingesetzte Kraft voll in den Kettenschutz. Es blutete ziemlich stark.

Ohne sich den Schmerz ansehen zu lassen, lief David ins Haus, und, was er bisher noch nie gewagt hatte, er betrat das Büro seines Vaters, da er sich in diesem Falle eher Hilfe von seinem Vater als von seiner Mutter erhoffte.
Sein Vater saß mit seiner alten Ofiziersuniform hinter seinem Schreibtisch und war höchst erstaunt, verlegen und böse zugleich. Als er aber Davids blutende Hand sah, erhob er sich von seinem Schreibtisch, griff in die Gesäßtasche seiner Uniform und zog dort zu Davids Erstaunen ein Militärverbandspäcken heraus, riß die khakifarbene Leinenschutzhülle auf und verband Davids Hand. Dann legte er seinen Arm auf Davids Schulter und führte David zur seinem Schreibtisch gegenüberliegenden Wand.
David erinnerte sich noch genau, dass er sprachlos war. Die gesammte Wand war mit Kriegstrophaen geschmückt. Links der Tür stand eine Vitrine mit Erinnerungsstücken seines Großvaters, an der Wand hingen Bilder seines Großvaters als Panzerkommandant und als Fliegeroffizier zusammen mit Prinzessin Mary, einer großen Wohltäterin des Royal Flying Corps. Und wie ein Juwel war mitten in der Vitrine unter dem Bild eines zerschossenen englischen Panzers des 1. Weltkriegs das Victoriakreuz seines Großvaters drappiert, des höchsten Tapferkeitsordens des Englischen Königreichs.
Die andere Wandseite neben der Tür schmückte ein riesiges Bild von Davids Vaters in just der Royal-Air-Force Uniform, die er gerade trug. Umrandet war das Bild von einem Spalier aus brittischen Enfield No1Mk3 Gewehren. Direkt davor stand ein langes Sideboard, auf dem fein säuberlich, wie sein Vater ihm erklärte, ein von ihm erbeuteter, zerbrochener deutscher Karabiner 98k lag, der von zwei zerschossenen deutschen Stahlhelm, einem schwarzem und einem grauen flankiert war.
Sehr viel später hat Cathys Vater David gesagt, dass der englische Geheimdinest MI5 seinen Vater noch lange beobacht hatte und man wisse, dass er die deutschen Waffen nicht im Krieg erbeutet, sondern heimkehrenden US-Soldaten abgehandelt hatte.
Häufig hätten amerikanische Soldaten deutsche Karabiner als Souvenier mit nach Hause nehmen wollen. Um die Militärgewehre heimlich mitzunehmen, hätten sie die Schußwaffen allerdings am Kolbenhals kurz hinter dem Abzug durchgesägt, damit sie von der Länge her in den Seesack passten. Das hätte bei dem raschen Abzug über Frankreich problemlos funktioniert. Aber bei der Heimreise ab England habe die US-Militärpolizei das Gepäck der Soldaten stichprobenweise kontrolliert. Viele der von US-Soldaten in Europa erbeuteten Waffen seien deshalb in England geblieben, weil ein Teil der Amerikaner Angst vor Bestrafung bekommen, und die Waffen kurz vor dem Einchecken ins Flugzeug Engländern überlassen hätte. Sein Vater habe dann höchst persönlich die Helme mit einem Pickel traktiert und die Sägestellen am Gewehrschaft so mit dem Hammer bearbeitet, bis es aussah, als sei das Gewehr im Kampf zerbrochen.

Als David wieder mit verbundener Hand aus dem Haus trat, war Cathy verschwunden.


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