Das nationale Österreich gegen Schuschniggs Volksbefragung

(Verlautbarung des Leiters des Büros von Innenminister Seyß-Inquart 120a. vom 10.3.1938 gegen geplante 'Volksbefragung')

Wir weisen unsere Anhänger an, sich bei der Volksbefragung am Sonntag der Stimme zu enthalten. Wir sind grundsätzlich entschlossen, uns an das Abkommen vom 11. Juli 1936 und vom 12. Februar 1938 zu halten. Wir sind aber nicht bereit, unseren Entschluß in dieser Form kundzutun. Darüber hinaus kann die Art und Weise, in der die Volksabstimmung herbei geführt worden ist, nur mit einem Ausdruck charakterisiert werden, den ich vorziehe, nicht zu gebrauchen. Sie wurde beschlossen ohne Beratung mit dem Kabinett und hinter seinem Rücken. Die gesamte Art und Weise, in der die Abstimmung durchgeführt werden soll, macht es für ein Individuum möglich, mehrere Male abzustimmen, und es gibt den Beamten der Vaterländischen Front uneingeschränkte Kontrolle der Wahl, so daß Türen für jede Art von Mißbrauch geöffnet sind.

Artikel von Staatsrat Jury vom 11.3.1938 in der Zeitung 'Wiener Neuesten Nachrichten'

Mit dem Abkommen vom 11. Juli 1936 und vom 12. Februar 1938 haben die beiden Führer der deutschen Staaten die Unabhängigkeit unsers österreichischen Heimatlandes garantiert und diese damit zur Grundlage für die brüderliche Kampf- und Schicksalsgemeinschaft des gesamten deutschen Volkes gemacht. Wir österreichischen Nationalsozialisten haben uns gleichfalls zum Grundsatz der österreichischen Unabhängigkeit bekannt und uns zur Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen öffentlich verpflichtet. Durch Eintreten in die gesetzgebende Körperschaften sind wir Mitgaranten der österreichischen Maiverfassung geworden, auf die ich einen heiligen Eid geleistet habe.

Wir Nationalsozialisten sind es gewöhnt, geleistet Eide ernst zu nehmen, und so ist es unsere selbstverständliche Pflicht, zu prüfen, ob wir unserem Eid gemäß in der Lage sind, unsere Gefolgschaft Wege zu führen, die den Boden der österreichischen Verfassung zu verlassen drohen.

Die vom Bundeskanzler zur 'Volksbefragung' aufgestellten Grundsätze sind von allen Österreichern außer Diskussion gestellt. Alle ernst zu nehmenden politischen Gruppen in Österreich haben sich längst auf den Boden dieser Grundsätze gestellt. Ihre Ablehnung wäre Hochverrat an Österreich und dem deutschen Gesamtvolk. Wir lehnen es aber ab, durch unsere Zustimmung zu Selbstverständlichem auch unser 'Ja' zu geben, was die zur 'Volksbefragung' gestellte Parole zwischen den Zeilen mit sich bringt: Wir österreichischen Nationalsozialisten kämpfen nicht bloß für ein freies und deutsches, für ein unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich, wir österreichischen Nationalsozialisten kämpfen für die Unteilbarkeit der Grundsätze der österreichischen Verfassung, und wir können und werden es nicht dulden, daß durch Hinweglassen zweier der wichtigsten Grundsätze des neuen Österreichs aus der Befragungsparole, des der autoritären Führung und der ständischen Gliederung unseres Staates der Weg zur demokratischen Staatsform und damit zur Volksfront und zur Bolschewisierung unsers heißgeliebten Vaterlandes geöffnet wird. Wir österreichischen Nationalsozialisten sind jeden Tag bereit, unser 'Ja' der österreichischen Maiverfassung zu geben. Unter dem Druck aber, zu Volks- und Vaterlandsverrätern gestempelt zu werden, unser 'Ja' für ein Abgehen von den geschworenen Grundsätzen unserer Verfassung zu geben, das müssen wir entschieden ablehnen.

Der dritte Grundsatz der Befragungsparole enthält diejenigen Forderungen, die wir österreichischen Nationalsozialisten seit je und je erhoben haben und deren Erfüllung uns auf Grund des Berchtesgadener Abkommens vom Bundeskanzler zugesichert worden ist.

Noch aber ist die Gleichberechtigung aller volks- und vaterlandstreuen Österreicher nicht zugesichert worden. Das uns zugesicherte Mitbestimmungsrecht in den Landesregierungen wird von den Landeshauptleuten schlechtweg abgelehnt. Das Mitbestimmungsrecht im Rahmen der Vaterländischen Front konnte infolge der anhaltenden Frontsperre bisher bloß in geringem Maße verwirklicht werden. Die in Berchtesgaden festgelegten Entdiskriminierungen von Nationalsozialisten sind bisher nicht erfüllt worden.

Diese mangelnde Gleichberechtigung zeigt sich gerade in diesen Tagen bei den Durchführungsbestimmungen über die 'Volksbefragung' und wirkt sich dahingehend aus, daß den Nationalsozialisten keine wie immer geartete Kontrollmöglichkeiten über die Freiheit der Abstimmung, über die Geheimhaltung der Voten und über die Stimmenzählungen zugestanden werden. Durch das Fehlen von Wählerlisten und einheitlichen Wahllegitimationen ist dem Wahlschwindel durch verantwortliche Elemente Tür und Tor geöffnet, durch das Fehlen von Vorkehrungen, die die Geheimhaltung der Stimmenabgabe gewährleisten könnten und durch die in öffentlichen Betrieben vorgesehenen Vorabstimmungen ist dem Abstimmungsterror freie Bahn gemacht, um so mehr, als schon heute abend andre als das 'Ja'-Votum als Verrat an Österreich angeprangert werden.

Aus diesen drei Gründen: wegen der verfassungswidrigen Tendenz der Befragungsparole, wegen der Friede und Arbeit gefährdenden Ungesetzlichkeit der Befragungsform und wegen des Mangels an Gleichberechtigung in der Durchführung der 'Volksbefragung' müssen wir österreichischen Nationalsozialisten die Beteiligung an dieser in der österreichischen Verfassung nicht vorgesehenen und daher als eine Privatinitiative anzusehene und in ihrem Ergebnis unkontrollierbaren 'Volksbefragung' ablehnen.

Der Kampf der österreichischen Nationalsozialisten geht um Friede und Arbeit, und weil wir den Frieden für unser kleines Vaterland ersehnen und weil wir auch Arbeiter der Faust und der Stirn an den Früchten des Wirtschaftsaufschwungs im Deutschen Reich teilhaben lassen wollen, deshalb kämpfen und kämpfen wir um die politische und wirtschaftliche Weggemeinschaft mit dem mächtigen Garanten des europäischen Friedens und dem glücklichen Fruchtnießer seiner weitblickenden Wirtschaftspolitik: mit dem Deutschen Reich.

Die Abmachungen von Berchtesgaden haben uns an das Ziel dieses heißesten unserer Wünsche gebracht: den deutschen Frieden und dann den ersten Schritt zur Zusammenarbeit mit der blühenden Wirtschaft des Deutschen Reichs. In den nächsten Tagen schon werden der Öffentlichkeit die Vorschläge für ein großzügiges Wirtschaftsabkommen bekanntgegeben werden, die unserm österreichischen Arbeiter Brot und Sicherheit vor Arbeitslosigkeit und Aussteuer bringen werden. Friede und Arbeit sind zugesichert , wenn es nicht jenen staats- und volksfeindlichen Elementen gelingt, die heute schon durch Terrorakte und systematische Bewaffnung friedlicher Arbeiter Unruhe in die Bevölkerung tragen, durch ein Abgehen von den Berchtesgadener Abmachungen die Früchte unsrer Friedensarbeit zu zerstören.

Eine politisch gefärbte und die Grundsätze der österreichischen Verfassung verlassende 'Volksbefragung', die überdies in dieser Form verfassungsmäßig nicht vorgesehen, geschweige denn in den Gesetzen vorbereitet ist, beschwört diese Gefahren innerer Unruhen und außenpolitischer Wegänderung herauf. Aus diesen zwei Grundsätzen lehnen wir österreichischen Nationalsozialisten es daher ab, an einer gesetzlich nicht fundierten und einen verfassungswidrigen Zustand heraufbeschwörenden Aktion teilzunehmen.

© Horst Decker



Quellenangabe:
Buch 'Weltgeschichte der Gegenwart, Band 5, Internationale Politik 1937/38, Werner Frauendienst 1940
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