'Bis hierher und nicht weiter', Bundestagsrede Schuschniggs vom 24. Februar 1938

Nach einer längeren Erklärung zum Staatsverständnis Österreichs folgt ein Bericht über das Treffen und die Abmachung mit Hitler vom 12. Februar 1938.

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Und nun zum zweiten entscheidendeten Anlaß, der von mir und meinen Mitarbeitern Rechenschaft fordert vor dem Bundestag, der Bundesversammlung, dem ganzen österreichischen Volk und darüber hinaus der Welt, sofern sie gleich uns an der Erhaltung des kostbaren Gutes, des Friedens in unserem Raum interessiert ist.
Der Herr Reichskanzler und Führer des Deutschen Reichs hat an mich die Einladung zu einer mündlichen Aussprache ergehen lassen, die am 12. Februar am Obersalzberg stattgefunden hat. Das bekannte Abkommen vom 11. Juli 1936, welches die freundschaftlichen Beziehungen der beiden deutschen Staaten zu sichern und zu regeln bestimmt war, hatte in seiner Durchführung Schwierigkeiten aufgezeigt, deren ungelöstes Fortbestehen eine akute Gefahrenquelle bedeutet hat. Die Tatsache nun, daß diese persönliche Fühlungsnahme weit über die Grenzen unseres Landes und des Deutschen Reiches hinaus als politische Sensation gewertet wurde, zeigt für sich alleine schon, daß es trotz aller Bemühungen bisher nicht restlos gelungen war, die Spannungen zu lösen, die über dem deutschen Raum, über Österreich und Deutschland, seit Jahren lasten; ein nach unserer festen Überzeugung von uns unverschuldeter und unerwünschter, auf die Dauer unerträglicher, weil durchaus abnormaler Zustand. Jede Abnormalität bedeutet Widersinn; und jeder Widersinn birgt unzweifelhaft seine Gefahren. Daß sich die Welt dessen bewußt war, zeigte die Anteilnahme und das starke Interesse an der Begegnung im benachbarten Berchtesgaden, die sonst, zumal bei dem heute allgemein geltenden und sehr vernünftigen Grundsatz, politischen Meinungsaustausch zur Regelung zwischenstaatlicher Fragen in persönlichem Kontakt zu pflegen, nicht zu erklären wäre.
So war den der Tag von Berchtesgaden, wie ich in Übereinstimmung mit dem Reichskanzler und Führer des Deutschen Reiches zuversichtlich hoffte, ein Markstein, der die Beziehungen unserer beiden Staaten im Interesse des gesamten deutschen Volkes, seiner Kultur und seines Vaterlandes, dauernd und für alle Zukunft freundschaftlich zu regeln bestimmt ist: ein Markstein des Friedens. Zur Erhärtung dessen und zur erforderlichen Klarstellung ist ein kurzer Überblick nicht zu vermeiden:
Es war das tragische Schicksal unseres Volkes, daß immer wieder im Ablauf der Geschichte Perioden kamen, in denen Deutsche gegen Deutsche standen, Zeiten des Bruderkrieges. Daß deren Geist trotz aller Bemühungen verantwortlicher Männer nie zur Gänze überwunden werden konnte, daran trägt nach meiner tiefsten Überzeugung jener Teil einer einseitigen Geschichtsschreibung ein vollgerütteltes Maß an Mitschuld, der, wie ein berühmter deutscher Historiker einmal vor dem Kriege einbekannte, seine Aufgabe darin sah, nicht objektiv, sondern subjektiv gefärbte Geschichte zu schreiben, als Hilfsmittel und Waffe für eine angestrebte künftige Entwicklung, der somit Geschichtsschreibung und Politik vermengte, der darum Licht und Schatten unrecht verteilte. Daß dies zumeist zu unseren Lasten der Fall war, bleibt schmerzlich.
Wir wollen gewiß nicht die Geister von 1866 beschwören, wenngleich sich nicht leugnen läßt, daß Österreich damals die großdeutsche Politik, nämlich den Gedanken des deutschen Bundes, mit seinen Waffen deckte, somit für den großdeutschen Gedanken in Nord und Süden in Ehren kämpfend unterlegen ist. Man soll mit dem, was war, nicht rechten, und es ist sinnlos, danach zu forschen, warum es so kam und vielleicht damals kommen mußte. So entstand das wilhelminische Reich und mit ihm jene Organisation Mitteleuropas, die allein im Zweibund eine Interessengemeinschaft von 120 Millionen Menschen im Herzen unseres Kontinents auf ein Menschenalter hinaus auf Gedeih und Verderb zusammenschweißte; rund zwei Drittel hiervon waren Deutsche.
Manch stolzes Wort wurde in den Metropolen der beiden Reiche gesprochen; eines der schönsten von ihnen, das der Österreicher und der Deutsche, wo immer seine Heimat ist, am besten nie vergessen möchte: Franz Josefs "Ich bin ein deutscher Fürst". Das war gut und recht so; der alte Kaiser als Mensch und Ritter hat nicht anders sprechen können; als Politiker wäre es denkbar gewesen. Denkbar und dennoch trotz möglicher Vorteile des Augenblicks gewiß auf Dauer nicht richtig, denn Österreich steht und fällt mit seiner deutschen Mission. Man muß es nur gewähren lassen und darf ihm die Möglichkeit nicht nehmen, sie zu erfüllen.
Seit nunmehr sehr bald hundert Jahren ist die deutsche Frage in diesem Land nicht so recht zum Schweigen gekommen. Großdeutsch, kleindeutsch, großösterreichisch standen einander gegenüber, und die besten Köpfe unseres Landes haben immer wieder mit dem Problem gerungen. Wenn die Wände dieses Saales sprechen könnten, würden sie vielleicht davon erzählen, wie sonderbar es war, daß selbst in den Zeiten des heftigsten Nationalitätenstreites der alten Monarchie die Deutschen in diesem Lande nie gänzlich zueinander fanden, sondern in Dutzenden von Schattierungen vom Sozialisten über den Liberalen, den Fortschrittlichen, den Radiklalen bis hin zum Konservativen darüber stritten, wer nun in Wahrheit der bessere Deutsche sei. Und doch ist dies in meiner tiefsten Überzeugung nach in diesem Lande zu jeder Zeit der gute Österreicher gewesen. Für diese Auffassung spricht kein geringerer Zeuge als Bismarck. Der Streit war nicht beendet, als der große Krieg die Gegensätze zunächst in einem Feuermeer erstickte. Es kam das Ende und, was zunächst nicht begreiflich schien, erlebte alsbald seine fröhliche Urständ, der Streit um das bessere Deutschland ging weiter.
Wir haben heute die Sinnesart und die Parolen der Umsturzzeit, die auch den Rest von Österreich zu vernichten drohten, gottlob und für alle Zeiten überwunden. Ich halte nicht dafür, daß es gerecht ist, mit einem Pauschalurteil all jene, die damals in Österreich eine gewiß nicht leichte Verantwortung trugen, schlechterdings zu verdammen. Die allgemeine Not, der Hunger, die Verwirrung, die Aussichtslosigkeit, auch nur den Bruchteil österreichischen Erbes, der uns erhalten blieb, zu bewahren und für bessere Zeiten zu retten, nahmen uns jeden Blick in die Zukunft und mochten die Besinnung rauben. Dazu kam der Friedensvertrag, den wir als Unrecht zu bekämpfen nie erlahmten, die Kriegsschuldlüge, gegen die wir als brutale Vergewaltigung der Wahrheit von Anbeginn zu Felde zogen; gegen die Lüge und gegen die, die aus parteitaktischer Erwägung, im Irrwahn, damit eine sozialistische Herrschaft in Österreich begründen zu können, ihrer Verbreitung dienten. Die gleichen Kreise waren es, die als erste und am lautesten die Aufgabe der Eigenstaatlichkeit Österreichs verlangten und zumal dem Arbeiter in Österreich das Paradies versprachen, wenn unser Land endgültig liquidiert und der mechanische Anschluß an das damals unter sozialistischer Herrschaft stehenden Reich vollzogen würde. Nun ist es sicher ein grundlegender Fehler und eine Sünde wider den Geist der Geschichte, die niemand ungestraft begehen kann, aus einer momentanen politischen Situation heraus oder auch aus wirtschaftlichen Erwägungen des Augenblicks, um sich eine zeitgebundene Erleichterung zu verschaffen, grundsätzliche Fragen lösen zu wollen, die nur abseits vom politischen Tageskampf und unberührt durch die Einflüsse der momentanen Stimmung eine dauerhafte und historisch richtige Lösung finden können.

Die Kräfte, die dann in der parlamentarisch-demokratischen Zeit des Nachkriegsösterreich die Verantwortung zu tragen hatten, waren sich einig in drei Punkten: einmal in der Notwendigkeit des Einsatzes aller Arbeit und Kräfte zur Überwindung jenes zersetzenden Internationalismus, der die gesunden Lebenskräfte des Volkes in ein bolschewistisches Abenteuer zu verstricken drohte; dann in der Bekämpfung und Wiedergutmachung des Unrechtes, das durch den Friedensvertrag dem Land zugefügt wurde, und der Kriegsschuldlüge, die sein Ansehen in der Welt zu vernichten bestimmt war. Schließlich waren sich alle einig über das durch Schicksalverbundenheit und lange gemeinsame Geschichte, durch das aus Sprach-, Blut- und Kulturgemeinschaft gewachsene gemeinsame Volkstum und über das durch die geopolitische Lage unseres Vaterlandes bedingte, von dem jeweiligen innerpolitischen gestaltungunabhängige freundschaftliche Verhältnis zum benachbarten Deutschen Reich. Als Engelbert Dollfuß am 27. Mai 1932 die Regierung antrat, sprach er im Rahmen seiner feierlichen Regierungserklärung den Satz: 'Es muß alle Welt verstehen, daß wir uns als selbständiger deutscher Staat, bedingt durch das Blut, die Geschichte und geographische Lage unserer Heimat, der engsten Verbundenheit und Freundschaft mit den Deutschen Reich bewußt sind, einer Freundschaft, die berechtigt und verpflichtet.'

Und dennoch kam ein Bruderkampf; mit all seinen Leiden und Schrecken, nicht minder schmerzlich und auch nicht minder erbittert, in seinen einzelnen Phasen wie in mancher unglücklichen Periode im Verlauf vergangener Zeiten. Und dieser Bruderkampf mit seinen Höhepunkten und seinen Wellentälern, mit seinen unermeßlichen Opfern, mit seiner Vernichtung und seiner Entzweiung von Menschen, mit seinen blutgetränkten Spuren und seinen fortwirkenden Fanalen des Hasses und der Verbitterung, mit seinen vergifteten Pfeilen in der Argumentation des politischen Streites, mit seinen überreich gefüllten Arsenalen der Möglichkeit der Verletzung, mit seiner Vernebelung des öffentlichen Meinung, seinen fallweisen Abebben anläßlich der wiederholten Versuche, einen friedlichen Ausgleich in die Wege zu leiten, dieser Bruderkampf währte fünf Jahre.

Und nun soll Friede sein. Ein Frieden, der beiden Teilen gerecht wird, ein ehrenvoller Frieden, der einen Kampf, der allzulange mit ungleichen Waffen gekämpft ward, ein, so Gott will, endgültiges Ende setzt; einem Kampf, der füglich niemand dienlich sein konnte, der nur vernichten und verneinen und niemals aufbauen und bejahen konnte, der sich zur Gänze auf österreichischen Boden ausgewirkt hat, der ganz gewiß nicht im Interesse des deutschen Volkes und des deutschen Raumes, wie immer man seine ideale Gestaltung sehen mag, gelegen war; der Gebiete mit einbezog, die, wie weltanschauliche Fragen, aus dem Streit der politischen Tagesmeinung besser ausgeschaltet blieben; der jeden Deutschen schmerzen mußte und niemanden anderen nützte, denn schließlich barg er in sich eine Fülle von Gefahren für die Erhaltung des allgemeinen Friedens, an dem alle Staaten gleichermaßen interessiert sind. Dieser Friedensschluß nach fünfjährigem Bruderkampf war der Sinn und Zweck der Begegnung von Berchtesgaden am 12. Februar des Jahres.

In dieser Stunde erachte ich es nicht für angebracht, Wunden wieder aufzureißen, die kaum vernarbten, und auch nicht, die Frage der Schuld zu erörtern, und auch nicht, auf all das zu verweisen, was unsererseits in Erinnerung gerufen werden könnte, um das ehrliche Bemühen unseres Landes, die Zeit der Zwietracht zu beenden, in ein klares und unzweideutiges Licht zu rücken. Ich erinnere nur an die letzten Sätze des sterbenden Kanzlers Engelbert Dollfuß: "Ich habe ja nur den Frieden haben wollen. Wir haben nie angegriffen, wir mußten uns immer wehren, der Herrgott soll ihnen vergeben." Ein Sterbender lügt nicht. Er spricht immer die Wahrheit.

Das war der gleiche Engelbert Dollfuß, dessen Weg wir zu gehen wir entschlossen sind, der im April 1933, als der Kampf entbrannt war, in einer großen Versammlung ausrief: "Wir Österreicher sind uns unserer Schicksalsverbundenheit mit dem gesamten deutschen Volk voll und ganz bewußt" und der beim ersten Generalappell der Vaterländischen Front am Trabrennplatz zu Wien, an jenem historischen 11. September 1933, die Verkündigung der neuen Verfassung einbegleitete mit dem fundamentalen Satz: "Wir Österreicher sind deutsch und haben ein deutsches Land." Als ich das Abkommen vom 11. Juli 1936, das den Frieden vorzubereiten bestimmt war und die Grundsätze der Friedensmöglichkeiten enthielt, vor dem österreichischen Volke eingeleitet haben verwies ich auf meine Rede, die ich am 29. Mai 1935 vor dem Österreichischen Bundestag gehalten hatte. Ich sagte damals: "Österreich hat nie einen Zweifel darüber gelassen und wird es, so lange wir leben, auch in aller Zukunft nicht tun, daß es sich als deutscher Staat bekennt." Ich sage weiter: "Dem habe ich auch heute nichts hinzuzufügen":

Der Reichskanzler und Führer des Deutschen Reichs hat in seiner großen Rede an die deutsche Nation am 20. dieses Monats in Besprechung des Ergebnisses der Vereinbarungen von Berchtesgaden diese Vereinbarungen als eine Ergänzung im Rahmen des Abkommens vom 11. Juli 1936 bezeichnet, wobei Schwierigkeiten, die sich im Vollzug dieses Abkommens vom 11. Juli ergeben hätten, dazu zwangen, einen Versuch zu unternehmen, um Mißverständnisse und Hindernisse für eine endgültige Aussöhnung beiseitezuräumen. Das Abkommen vom 11. Juli, welches demgemäß übereinstimmend von beiden Vertragspartnern als Grundlage der Vereinbarung von Berchtesgaden betrachtet wird, enthält erstens die ausdrückliche Feststellung des Reichskanzlers und Führers des Deutschen Reiches, daß die deutsche Reichsregierung die volle Souveränität des Bundesstaates Österreich anerkenne.
Es enthält weiter die Feststellung, daß die beiden Regierungen die in dem anderen Land bestehende innerpolitische Gestaltung, einschließlich der Frage des österreichischen Nationalsozialismus, als eine innere Angelegenheit des anderen Landes, auf die sie weder unmittelbar noch mittelbar Einwirkung nehmen werden, betrachten. Es enthält schließlich die Feststellung, daß die österreichische Bundesregierung ihre Politik im allgemeinen wie insbesondere gegenüber dem Deutschen Reich stets auf jener grundsätzlichen Linie halten werde, die der Tatsache, daß Österreich sich als deutscher Staat bekennt, entspreche. Hierbei ist auf den unveränderten Fortbestand der Römer Protokolle, welche die Stellung Österreichs zu seinen Nachbarn Italien und Ungarn regeln, verwiesen. Zur reibungslosen Durchführung waren von beiden Seiten Maßnahmen vorgesehen, welche einerseits die innerpolitische Befriedung in Österreich als Voraussetzung für ein taugliches Funktionieren des Vertrages betrafen und die andererseits die reichsdeutsche Nichteinmischung in innerpolitische Angelegenheiten Österreichs gewährleisten sollten.

Das Abkommen vom 11. Juli 1936 stand nunmehr bald zwei Jahre in Geltung. Es hat hüben und drüben nicht an Versuchen gefehlt, immer wieder auftauchenden Reibungen und Hemmungen zu überwinden. Der letzte Versuch in Österreich wurde vor Jahresfrist im Februar 1937 unternommen, als unter anderen Maßnahmen das sogenannte Siebenerkomitee mit dem Zentralsitz in der Wiener Teinfaltstraße zum Zweck der inneren Befriedung ins Leben trat und gewisse Personalveränderungen vorgenommen wurden. Die durch Unterschriften ausdrücklich festgelegte und angenommene Grundbedingung dieser Auseinandersetzung vom Februar 1937, die ohne Mitwirkung reichsdeutscher Stellen zustande kam, war bekanntlich die Anerkennung der Verfassung vom Mai 1934, die Anerkennung der Vaterländischen Front als des alleinigen Trägers der politischen Willensbildung in Österreich und der Verzicht auf jede illegalen Betätigung, deren letztes Ziel nur immer wieder die Wiederaufrichtung der nationalsozialistischen Partei sein konnte und somit der Verfassung zuwiderlief, wobei beide Teile zur Kenntnis nahmen und mit ihrer Unterschrift bestätigten, daß künftige illegale Betätigung wie bisher unter Strafsanktion gestellt sei. Demgegenüber haben wir eine weitgehende politische Amnestie verfügt und den Grundsatz wiederholt und ausdrücklich verkündet, daß die Mitarbeit in der Vaterländischen Front für jeden Österreicher, der zu legalem Wege bereit sei, gleichgültig welcher politischen Richtung er früher angehörte, ungehindert offen stehe. Das alles war im Februar 1937.

Es ist überholt und daher überflüssig, im einzelnen zu untersuchen, warum die beschrittene Bahn für sich alleine genommen nicht zum erwünschten Erfolg geführt hat. Der Appell zur Mitarbeit bleibt zwar nicht fruchtlos, wie die vor der verfügten Frontsperre stark angestiegenen Zahlen der Neuanmeldungen beweisen. Es wäre ein leichtes, auf Grund genauer Kenntnis des Sachverhaltes, wenn dies sein müßte, die weitere Entwicklung bis zum Februar 1938 und die Ursachen der neuerdings sich bedrohlich verdichtenden Spannung bis ins einzelne zu zergliedern. Der wahre Grund lag summamrisch genommen darin, daß österreichische Interessen am Werk waren, die es für richtig hielten, durch unrichtige Informationen die zwischenstaatlichen Verbindungen zu stören und zu vergiften und, wie aus verschiedenen Pamphleten, die noch zu Anbeginn dieses Jahres ihre Verbreitung fanden, hervorgeht, den Sinn des Abkommens vom 11. Juli und den klar erklärten Willen des Reichskanzlers und Führers ins Gegenteil zu verkehren, um sich dadurch die Möglichkeit einer neuen illegalen Betätigung mit dem Ziel der Wiederherstellung der Zustände vor dem 11. Juli 1936 zu sichern.

Auch diese Zeit ist nunmehr vorüber. Das neue Übereinkommen ist abgeschlossen, und unser brennender Wunsch geht dahin, daß es zur Gänze halte, was beide Teile sich von ihm versprechen. Wenn reichsdeutscherseits darauf verwiesen wird, daß es mit dem Prestige der Großmacht und der Würde des deutschen Volkes unvereinbar sei, wenn Österreich die herrschende Staatsauffassung des Reiches bekämpfe, dann verweise ich darauf, daß Österreich diese Auffassung zur Kenntnis zu nehmen immer bereit war, zumal innerdeutsche Angelegenheiten dem Bereich der politischen Diskussion in Österreich seit je entzogen bleiben sollen. Ich bin durchaus der Meinung, daß dieser Grundsatz lückenlos durchzuführen ist und durchgeführt werden kann, insofern nicht innerösterreichische Auseinandersetzungen und insbesondere eine gegen die österreichische Staatsauffassung und -gestaltung gerichtete illegale Betätigung mit einer Stellungnahme zum deutschen Staatsbekenntnis gleichgesetzt werden.

Die nunmehr getroffene Vereinbarung trägt alle Ansätze guten Gelingens und alle Voraussetzungen einer befriedigenden Entwicklung und eines restlosen Friedensschlusses in sich. Wir haben leider nicht alles Unheil gutmachen können, welches das Jahr 1934 mit seinen Erschütterungen des Bürgerfriedens im Februar und Juli mit sich brachte. Der Opfer sind viele, allzu viele gewesen. Wir Österreicher verloren den Mann unseres Volkes, den mutigen Bahnbrecher einer neuen Zeit, dem es gelang, die bei uns schiffbrüchig gewordene Formaldemokratie des arbeitsunfähigen Parlamentarismus zu überwinden; wir haben unseren Führer Engelbert Dollfuß verloren. Wie zumeist in Revolten, bei denen nicht nach Recht und Unrecht, sondern nach Erfolg oder Mißerfolg gefragt wird, haben Hasardeure aller Seiten, sich rechtzeitig fremder Hilfe versichert, das Land verlassen. Übrig bleiben die, die, zumeist gläubig ihrem Ideal folgend, bereit waren, mit der Waffe in der Hand zu gehorchen. An ihnen war es vielfach, der Strenge des Gesetzes ihre Stirn zu bieten. Wir neigen uns in dieser Stunde vor allen Opfern.

Wer aus Idealismus und nicht aus Berechnung, im Glauben, seine Pflicht zu tun, auf die Barrikaden steigt, war zu allen Zeiten niemals der wirkliche Nutznießer der Revolution; er hatte daher, wenn ihm das Schicksal hold blieb, zu allen Zeiten und überall einmal bei Wiederkehr ruhigerer Zeiten den Anspruch auf Versöhnung. Dies ist der Sinn der Amnestien. Nicht ob im einzelnen Falle die richtige Wertung der Amnestie erfolgt und ob sie den Würdigen trifft, ist das Entscheidende, sondern die Tatsache, daß der Schlußstrich gezogen werden konnte unter allem, was war, um unbelastet eine neue Zeit zu beginnen. Die geistigen Voraussetzungen hierfür sind die Überwindung des Hasses und der Verzicht auf jene Einstellung, die mit der bloßen Vorstellung des Gegners zugleich den Vernichtungswillen verbindet.

Wir haben eine Heimat. Die Heimat kann nicht leben, wenn ständige Zwietrachte ihren Boden zerwühlt. Das Land kann nicht gedeihen, wenn zu viele seiner Söhne darauf bedacht sind, seinen Fortschritt zu behindern. Dem Volk aber kann das nie und nimmer zum Segen sein, wenn Land und Heimat immer wieder neue Wunden erleiden. Land und Volk werden Leben, so oder so. Aber wir wollen doch, jeder für sich genommen. das bessere leisten können als der andere, sozial noch gerechter, national noch unbedingter, vaterländisch noch treuer und verläßlich sein.

Dies gilt zu beweisen: Daher die eine Konsequenz, die gegenüber unserem früheren Standpunkt nichts Neues bedeutet: Schließt die Front, die Platz hat für alle. Wer absichtlich in der Etappe bleiben will dem steht auch dieser Weg offen.. Aber er kann sich dann nicht mehr beschweren daß er keine Gelegenheit zur Mitarbeit hat. Eines werden wir nie und nimmer erlauben, daß die Front von der Etappe erschlagen wird.
Wir haben nunmehr Beweise guten Willens und des Vertrauens in Fülle gegeben. Wir haben die ehemaligen parteigebundenen Sozialdemokraten zur Mitarbeit in der Vaterländischen Front eingeladen; wir haben den ehemaligen parteigebundenen Nationalsozialisten wie den Angehörigen aller anderen Gruppen unter vollkommen gleichen Bedingungen die Möglichkeit der Mitarbeit eröffnet. Dies ist nichts Neues. In der ganzen Periode des vielbesprochenen und viel umstrittenen Befriedungswerkes ging in Dutzenden von Erklärungen von nichts anderem die Rede. Der deutsche Frieden nunmehr, wie ich das getroffene Abkommen bezeichnen möchte, legt neuerdings ausdrücklich denen, die sich zu nationalsozialistischen Gedankengängen bekennen, die Wege frei zur Mitarbeit mit allen anderen, sofern ihr Bekenntnis in offenem und klarem und unzweideutigem Einklang steht mit den Grundsätzen der Verfassung, die nach dem Willen Engelbert Dollfuß das unabhängige und selbständige, deutsche und christliche, ständisch gegliederte und autoritär geführte Österreich geschaffen hat, im Einklang mit den Grundgesetzen der Vaterländischen Front, neben der es in Österreich keine politische Partei und keine politische Organisationsform geben kann, innerhalb welcher für die Gleichberechtigung aller bei unverrückbarem Festhalten an ihren Grundsätzen Sorge tragen wird. Dies wird Aufgabe der Front in den nächsten Wochen sein. Die Beobachtung der österreichischen Gesetze, somit auch der Gesetze über die VF., und die Anerkennung der österreichischen Verfassung ist genau so wie bei der innerösterreichischen Abmachung vom Februar 1937 auch im gegenständlichen zwischenstaatlichen Abkommen die ausdrücklich niedergelegte und eindeutig formulierte Voraussetzung der Mitarbeit.

Von reichsdeutscher Seite wurde gleichzeitig die Versicherung wiederholt, für die Nichteinmischung in innerpolitische Verhältnisse Österreichs entscheidende Vorsorge treffen zu wollen, und zwar dadurch, daß die Reichsregierung Maßnahmen zu treffen bereit ist, die eine Einmischung reichsdeutscher Stellen in innerösterreichische Verhältnisse ausschließt; es ist vereinbart und festgestellt, daß die bisherige Illegale in Österreich in keiner Weise auf die Deckung durch außerstaatliche Stellen oder auf Tolerierung durch die österreichische Bundesregierung rechnen kann, daß vielmehr jede gesetzwidrige Betätigung zwingend der in den Gesetzen vorgesehenen Ahndung verfallen wird; dies sei eine abschließende Feststellung zu diesem Punkt, die aus einem besonderen Grund besonders beachtlich scheint.

Ich habe von einem ehrlichen Frieden gesprochen. Unehrlich wäre es gewesen, wenn jene in Österreich Recht behalten hätten, die noch vor kurzer Zeit von der Ungültigkeit der österreichischen Verfassung und den Eidbrechern in der österreichischen Staatsführung, von Gewalt und Terror und vom Wiederaufleben der Partei gesprochen haben. Ein ehrlicher Friede war es, weil die Grundsätze, die wir seit je vertraten hinsichtlich der Verfassung und Front, somit hinsichtlich der Fundamente unseres staatlichen Aufbaues, unverändert blieben. Wir wissen genau, daß wir bis zu jener Grenze gehen konnten und gingen, hinter der ganz klar und eindeutig ein: "Bis hierher und nicht weiter" steht. Wir haben uns nicht gescheut, diese Grenze zu erreichen, weil wir, im Vertrauen auf das Wort und die Persönlichkeit des die Geschicke des großen deutschen Reiches erfolgreich betreuenden Führers und Reichskanzlers, gemeinsam mit ihm einen Weg zu gehen uns entschlossen haben, der, folgerichtig eingehalten und beschritten, nach unserer festen Überzeugung zum Wohl des österreichischen Vaterlandes und des gesamten deutschen Volkes sein kann und im Interesse des europäischen Friedens gelegen ist.

Ich lege Gewicht darauf, zu erklären, daß ich im vollen Bewußtsein der Verantwortung und unter voller Bedachtnahme auf die Lebensinteressen und den friedlichen Bestand unseres Vaterlandes bereit bin, ohne jeden Nebengedanken und in absoluter Klarheit das österreichschicherseits gegebene Wort einzulösen. Ich und wir alle werden glücklich sein, wenn nun eine harte, opfervolle Zeit, die mit einem harten Tag am 12. Februar 1938 ihren Abschluß fand, zum wahren deutschen Frieden geführt hat, einem Frieden, den zu erhalten und zu vertiefen es die gebrachte Opfer lohnen würde.

Und nun zu der rein innerösterreichischen Seite der Frage. Die Grundsätze unseres staatlichen Aufbaues sind so klar und wurden so häufig erörtert, die Unverrückbarkeit jener Orientierung, die für uns mit dem Namen Dollfuß-Kurs am klarsten umschrieben bleibt, wurde so häufig betont, daß sie auch in diesem Augenblick keiner Wiederholung und Unterstreichung bedürfte. Darüber hinaus fordere ich alle den Problemen der Zeit aufgeschlossene Österreicher auf, mit dem heutigen Tag in Wirklichkeit ein neues politisches Zusammenleben zu beginnen, bei dem, unseren Grundsätzen getreu, jedem einzelnen die größtmögliche Freiheit gewährleistet sei, insoweit sie sich in den durch die Vaterländische Front zwingend gezogenen Grenzen bewegt, und bei dem niemand eine Vergewaltigung seiner persönlichen Meinung zu befürchten braucht, insoweit sie sich nicht gegen die Grundlagen und Grundgesetze des Staates wendet.

Ich fordere insbesondere die alten treuen Fahnenträger des österreichischen Gedankens, deren Aufgabe es jetzt erst recht bleibt, sich um das Banner des Vaterlandes zu scharen und es voranzutragen in nimmermüdem Eifer, zur Sammlung, zur Einsicht und zu unentwegter Gefolgschaft auf. An ihrer Arbeit in erster Linie wird es gelegen sein, den jetzt erst recht unerläßlichen Aktivismus der Vaterländischen Front im Lande voranzutragen und das Wissen um die Werte, die auf dem Spiel stehen, in den Herzen und Gedanken auch des letzten Österreichers zu verankern. Es ist Zeit, die Schlagworte einer vergangenen Epoche in der Rumpelkammer zu verstauen. Klerikal und antiklerikal sind Begriffe, deren lange eisgrauen Bärte keinen zeitaufgeschlossenen Menschen, vorab keinen jungen Menschen mehr bewegen dürften. Liberal als Gegensatz zu revolutionär sind schon eher aktuelle Ideenbilder, die vorteilhafterweise nur dann gebraucht werden sollten, wenn der, der sie verwendet, gleich beifügt, was er sich darunter vorstellt. Wer aber vom Sozialismus oder Nationalsozialismus spricht und wer auf den Altar seines Denkens den nationalen Sozialismus zu stellen gewöhnt ist, der nehme zur Erwägung:
Nicht Nationalsozialismus oder Sozialismus in Österreich, sondern Patriotismus sei die Parole. Und was gesund ist von den verschiedenen Gedanken und Programmen, das findet Platz in der ersten nationalen und sozialen Bewegung im Vaterland, in der Vaterländischen Front.
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(Es folgen lange Ausführungen, in denen Bundespräsident Schuschnigg Argumente für die Lebensfähigkeit eines nationalen Österreichs vorbringt und den eindeutigen Willen bekräftigt, Österreich als unabhängigen Nationalstaat zu bewahren. Die Rede endet:)

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Dann bin ich zutiefst im Herzen davon überzeugt, daß das Andenken Engelbert Dollfuß und aller Märtyrer dieses Landes die schwachen Kräfte derer, die heute die Verantwortung tragen, beschützen. Und dann, wenn Sie es hören wollen, vertraue ich auf den Herrgott, der unser Land nicht verlassen wird. Dieses Vertrauen setzt aber voraus das Wissen, daß der Herrgott nur denen hilft, die selbst bis zum äußersten zum Einsatz aller ihrer Kräfte und zur Zusammenballung ihres ganzen Willens entschlossen sind.

Und weil wir entschlossen sind, darum steht der Sieg außer Zweifel.

Bis in den Tod Rot-Weiß-Rot! Österreich!

© Horst Decker



Quellenangabe:
Buch 'Weltgeschichte der Gegenwart, Band 5, Internationale Politik 1937/38, Werner Frauendienst 1940
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