Brief eines im Wehrmachtsgefängnis
München Stadelheim inhaftierten Soldaten

München, den 14. Dezember 1941

(es folgt der Stempel mit den Vorschriften der Standortarrestanstalt, München 19, Leonrodstr. 51)

      Meine liebe gute Annemarie!
Nun ist ja der schlimmste Tag meines Lebens auch wie=
der vorüber und brachte mir, wie Du ja gehört hast, eine
für mich erschreckende Buse mit sich. Ich muß gestehen,
daß ich tatsächlich momentan fassungslos war, aber nach
kurzer Zeit und durch die tröstlichen Worte von Rechtsanwalt
Dr. Kartini wurde ich wieder gefaßter. Und trotzdem
bin ich sehr froh, daß das Gericht äußerste Milde walten
ließ. Meine Lebensauffaussung ist künftighin ernst und zu=
rückgezogen. In eine solche Situation werde ich wohl in mei=
nem Leben nicht mehr kommen. Wenigstens hat das Gericht
einmal einen kleinen Vorgeschmack von meiner Frau bekommen,
und das war gut so. Tröste Dich, mein liebes Kind, wenn ich nur
die Gewissheit in mir tragen kann, daß Du als Einzige mich
nicht verläßt und mir treu bleibst. - Ich habe so großes Vertrauen

zu Dir, daß ich alles, was ich besitze, Dir zu treuen Herzen u. Händen
übergeben kann. Es ist eine bittere Zeit und wenn ich an meine
Kameraden im Felde denke, in dem furchtbar unwirtlichem und
kalten Rußland, was diese alle für Strapazen und Unbilden mit=
machen müßen, so ist schließlich unser Opfer dagegen minimal.
Auch wir kämpfen, besonders Du in Deinem kränklichen Zustand.
Aber ich weiß, daß Du zäh zu mir hälst und unser Gut treu bewachst.
Nur eine Sorge bringe ich nicht weg und zwar die Wohnungsangelegenheit.
Kartini muß als mein Stellvertreter alles besorgen und vor allen Dingen
Dich schützen gegen eventuelle Angriffe von diesen beiden. Er, ich
meine Kartini damit, darf in meinem Auftrag mit den schärfsten
Mitteln gegen diese Parasiten vorgehen, wenn es im Guten nicht ge=
hen sollte. Wenn ich natürlich in Freiheit wäre, könnte ich alle not=
wendigen Besorgungen erledigen, vor allem aber unser Eigentum gegen
diese Beiden in Schutz bringen. Es ist für mich wahrscheinlich eine sehr
große Überwindung, wenn ich bei allen diesen Ereignissen untätig
zusehen muß und nicht helfend eingreifen kann. Gestern nach der
Verhandlung bekam ich von Kartini das Ehescheidungsdokument
des Rechtsanwalts Dr. Bandorf, der anscheinend auch zur gleichen
Zeit im Auftrag von meiner Frau die Scheidung eingereicht

hat. In diesem Protokoll sind natürlich wie üblicher Weise die scham=
losesten Dinge in unwahrem Zusammenhang aufgezeichnet, wo sie na=
türlich als Lämmchen brillierte. Zeuge wurde keiner benannt. Rechts=
anwalt Dr. Kartini kommt morgen Freitag nachmittag zu mir und wir
werden die Angelegenheit gründlich besprechen. Termin ist am 8. Januar
vor dem Landgericht München angeraumt. Ich werde unerbittlich gegen diese
Frau, die mir meine ganze Existenz vernichtet hat, vorgehen. In diesem
Sinne hat mir auch Kartini sein Wirken zugesagt. Zuerst muß Deumler
abziehen und dann kommt sie daran. Sie hat es ja nicht anders haben
wollen. Jetzt kommt dann wenigstens der dicke Schlußstrich in mei=
nem furchtbaren 14 jährigen Martyrium. Wie erbärmlich sie gestern
vor den Schranken des Richterstuhles stand und wie ausfallend sie sich
gestern unter ihren hysterischen Wein- und Schreikrämpfen mir gegenüber
benahm, hat nur zu gut bewiesen, was für "gute Charaktereigenschaften"
diese Frau besitzt. Wie bescheiden und anteilnehmend Du dagegen ge=
wirkt hast, war direkt bewundernswürdig. Du bist mein zweites Ich
und das will ich auch Dir lohnen, das darfst Du bestimmt versichert
sein. Wenn auch momentan vielleicht ein sehr getrübtes Bild durch
meine Verurteilung entstanden ist, gibt es doch schließlich noch eine
Hoffnung und diese wollen wir mit beiden Händen ergreifen. Kartini

ist wirklich nicht nur ein ganz vorzüglicher Redner u. Rechtsanwalt,
sondern auch ein fabelhafter Berater und Freund, wenn man ihn so
nennen darf. Ich habe zu ihm unbegrenztes Vertrauen und ich weiß,
daß ich auf dem rechten Weg mit ihm bin. Darum möchte ich Dir auch
immer und immer wieder raten, im rechten Moment seine Schutz=
bereitschaft zu erbitten. Hoffentlich hat Dir der gestrige Tag nicht
wieder einen Rückfall Deiner Krankheit bereitet? Ich bange sehr um
Dich, denn Dein Schicksal ist ja zu sehr mit meinem verbunden.-
Vor allen Dingen herzlichen Dank für Deine guten Sachen. Ach
Gott, wie schön ist es, wenn noch eine Seele sich sorgt. Ich habe Dich
so lieb und Du kannst es kaum begreifen. Ich werde Dich immer
beschützen, das darfst Du versichert sein. Ich habe nur Angst, daß Du
wegen meines Krankseins mich vielleicht nicht mehr magst. Aber, Du
brauchst da keine Sorge haben, ich war z.Zt. hier auch schon einmal
in ärztlicher Behandlung dieserhalben. Du brauchst es jetzt nicht über=
all herumerzählen. Nun mein süßes Lieb, vergiß Deinen Milo nicht
und bleib ihm treu. Du bist meine Heimat und alles. Ein Glück, daß ich
Dich in meinem Unglück noch habe, auf die ich bauen kann. Also näch=
sten Dienstag kommst Du bestimmt, ich freue mich schon sehr darauf.
Für heute nimm herzlichste Grüße u. Küsse entgegen von Deinem

          Dich ständig liebenden
              Camillo

Bitte sehe zu, daß Du meine lange Hose im Kasten am Dienstag nachmittag mitbringst!

© Horst Decker


     


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