Brief eines im Wehrmachtsgefängnis
München Stadelheim inhaftierten Soldaten

München, den 11. Dezember 1941

(es folgt der Stempel mit den Vorschriften der Standortarrestanstalt, München 19, Leonrodstr. 51)

Anlage: 1. Vollmacht:

      Meine innigstgeliebte Annemarie!
Habe Deine beiden lieben Briefe vom 7. u. 8. Dezember erhalten und auch das Paketchen
mit dem Adventsgruß. Herzlichen Dank! Du kannst Dir gar keine Vorstellung ma=
chen, wie mich immer wieder ein Lebenszeichen von Dir aus meiner Niedergeschlagenheit
wieder aufleben macht und Du siehst voraus, daß wir in Liebe und Zusammengehörigkeit
immer enger verkettet sind. Die maßlos vielen traurigen Schicksalsschläge, die wir zu=
sammen die Jahre her ertragen mußten und Gott sei Dank gut überstanden haben, geben
nunmehr den sicheren Beweis, daß wir Beide in Treue zusammen halten müssen
und jede fremde Macht, die es wagt uns entzweien zu wollen, gemeinsam abwehren. -
In Deinem letzten Brief teiltest Du mit, daß Du wieder ein paar Tage zuhause warst,
wahrscheinlich hattest Du wieder einmal eine der bekannten Gallenblasenkoliken. Hoffentlich
hat sich es inzwischen wieder gebessert? Ich bange schon außerordentlich jetzt um Deine Ge=
sundheit. Hast Du es wieder mit dem Darm zu tun? Es ist doch wirklich furchtbar, wenn man
so denkt, daß das Unglück gar nicht mehr weichen will. Ich sehne mich so nach Dir und
meinem Heim; denn meine Nerven sind allmählich fast vollkommen gelähmt. Dieses ewige
Warten wird allmählich ein Zustand der Unerträglichkeit. Rechtsanwalt Dr. Kartini hat
eine Seelenruhe, gibt mir weder Nachricht von dem Ehescheidungsantrag noch von meiner
Sache. Ich habe ihm in dieser Wochen noch zwei ausführliche Briefe geschrieben, die für den
Scheidungsprozeß einige Richtlinien noch ergeben werden, aber er hüllt sich immer sehr
in Schweigen. Wenn Du mir schreibst, so höre ich immer aus Deinen Briefen, daß Du heute oder
morgen Kartini anrufen willst, aber niemals einmal einen sicheren Bescheid, wann Kartini
gedenkt, einmal zu mir zu kommen. Wenn ich mich schon nicht mit meinem Rechtsbei=
stand verständigen kann, mit wem sollte ich mich dann über die verschiedenen juristischen
Fragen unterhalten? Ich bekomme auch nie Bescheid, ob die Forderungsangelegenheit Kartinis

ins Reine gebracht sind oder ob dieselben an der lauen Anteilnahme schuld daran sind. Ich
bin ja vollkommen von der Außenwelt abgeschlossen, das muß man doch schließlich einsehen. -
Kartini hat mir wohl geschrieben, aber so oberflächlich kurz, daß ich eigentlich so viel wie nichts
weiß. Ich kann mir nur das Eine nicht vorstellen, wie man sich in meine Lage überhaupt nicht
reinfinden kann. Ich versuche mich in diesem endlosen Warten tunlichst mit Lesen zu zerstreuen,
aber manchmal droht es mich, zu verzweifeln und letzten Endes wird man schließlich ganz blöd von
diesen 25 Pfg.-Romanen. Ich glaube, ich habe schon ca 50 gelesen, der reinste langsame Selbst=
mord im Geistesleben. Wenn man krank in einem Lazarett liegt, mag die Krankheit dauern so
lange sie will, so hat man schließlich doch noch immer irgendwelchen Anhaltspunkt, wann die
Krankheit so weit verschwunden ist, daß man wieder das Lazarett verlassen kann und schließlich sind
dann irgendwie auftretende Schmerzen durch Linderungsmittel zu betäuben oder zu lindern. Wenn man
aber im gesunden Zustand oder wollen wir sagen normalen Zustand in einem Raum eingesperrt ist,
ohne jegliche Beleuchtung, auf hartem Bettlager, ohne große Müdigkeit zum Schlafen, bedingt durch
das Lager, keinen Alkohol, manchmal nichts zu rauchen oder noch zu der kärglichen Mahlzeit etwas zum
Essen, dann weiß man genügend Bescheid, wie angenehm so ein Leben auf längere Dauer wirkt. -
Je älter man wird, desto schlimmer empfindet man ein derartiges Spartanerleben. Du wirst noch genau
wissen, wie ich von allen Menschen gefeiert wurde, von den höchsten Stellen das Wohlwollen genoß
als Schauspieler und Regisseur, überall eingeladen wurde vom Gau d. Partei, von der Stadt, in den
prominenten Künstlerkreisen und jetzt soll ich hier als Mensch 2. Klasse, wochenlang eingesperrt sein.
Kein Mensch weiß etwas davon; man wird sich wahrscheinlich überall wundern, wo ich stecke. -
Dabei habe ich meinen Dienst im Staat und während des Krieges treu und redlich ohne irgendwelche
Beanstandungen in meiner Dienststelle geleistet. Kann eine solche Schicksalswende überhaupt möglich
sein. Ich kann so etwas heute noch nicht fassen und es kommt mir vor wie ein böser Traum.
Kann nicht jeder Mensch behaupten, daß ich immer gegen alle Menschen gut und hilfsbereit war? -
War ich nicht immer ein Kamerad zu Kameraden? Half ich nicht jedem, wenn er in Not war?
Wenn man so darüber nachdenkt und dabei empfinden muß, wie man als intellektueller Mensch
nunmehr behandelt wird, dann muß man direkt verzweifeln und jegliche Hoffnung begraben. -
- Nun genug - jeder Tag hier geht mir von meinem restlichen Leben ab; wer weiß, wie lange man
lebt und ich wollte doch noch Großes leisten in meinem künstlerischen Leben und viele Men=
schen warten darauf. - Ich weiß es genau, daß man mich von der Propagandaabteilung nach

dem Kriege lancieren wollte und sehr große Hoffnungen auf mein künstlerisches Wirken in
der Partei setzte. Der einzige Hemmstein war und ist immer meine Frau. Weil jeder vernünftige
Mensch einfach nicht begreifen kann, daß ich mit einer solchen unmoralischen Frau verbunden
sein kann. Und darum ist es allerhöchste Zeit, daß ich nun endlich von ihr wegkommen. - Und
darum wünsche ich in erster Linie Kartini zu sprechen, damit ich künftig in meinem Leben nicht
wieder von dieser Megäre weiterhin belästigt werde. Einmal muß es Schluß sein und lieber
ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. - Ich will Dir keinen Vorwurf machen,
aber ich verstehe nur das eine nicht, daß wegen der Schlüssel noch nichts unternommen ist. - Ich
habe jetzt in drei Teufels Namen alles erdenkliche zu unternehmen versucht, daß man endlich mein
Eigentum; d.h. die Schlüssel Dir aushändigt. Warum geschieht das nicht. Ich behaupte auf Grund
unzähliger Beweise, daß meine Frau stiehlt und werde wohl das Recht haben, mich gegen
Diebstahl meiner in Scheidung lebenden Frau zu schützen. Ich dachte, Kartini wird eine einst-
weilige Verfügung durch das Gericht erwirken. Warum ist hier noch nichts geschehen. Oder ist
vielleicht diese Tugendpflanze von meiner Frau zu heilig, daß sämtliche Rechtsmittel daran
abbrechen? Ich behaupte, daß sie eine notorische Verbrecherin ist, der kein Mittel zu schlecht
ist, andere Menschen ins Unglück zu stürzen. Und gegen eine solche Pharisärerin muß man sich
mit allen Mitteln schützen. Ich kann nur hoffen, daß Du endlich einmal Kartini ins Gebot nimmst,
und energisch in meinem Namen, um Abhilfe und Schutz ersuchst. Seit 3 Wochen höre ich immer,
daß Kartini etwas unternommen hat, aber was, das erfahre ich nie. - Nun eine andere Sache:
Die Hose und Stiefel habe ich erhalten, kann aber nichts damit anfangen, weil ich ja nicht einmal
im Besitz von Hosenträger oder Gürtel bin und die tschechische Steghose nun ja viel zu lang ist. -
Als Mensch 2. Klasse darf ich ja keine Hosenhalter haben und so fällt sie nur mit meiner zunehmenden
Magerheit herunter, das wirst Du doch schließlich einsehen. Es war ja gut von Dir gemeint, aber
es nutzt nichts. Wenn Du die Schlüssel nicht bald in Deinen Besitz bekommst, dann bitte ich Dich die
sämtlichen Kästen und Kommoden etc. durch Schlosser aufsperren zu lassen, wozu ich Dir anliegend eine
besondere Vollmacht erteile. Jetzt wird mir die Sache allmählich zu dumm. Im Übrigen läßt Du an
die äußere Türe ein Sicherheitsschloß anbringen, dessen Schlüssel Du zu Dir nimmst. Ich erkläre hiermit
noch einmal offiziell, daß diese Frau in meinen Zimmern nichts mehr zu suchen hat.
Eine Frau, die Ihren
Mann dauernd betrügt und bestiehlt, hat keinen Anteil mehr zu nehmen an dem Eigentum des Mannes.
- Hat Kartini den Scheidungsantrag endlich eingereicht und warum bekomme ich keine Antwort?

Ich bin über diese Sachen sehr ungehalten. Schließlich interessiert mich doch die Sache auch
ein wenig. Den Prozeß in Augsburg (Nachlassenschaft u.s.w.) geht auch im Schneckengang und
bin sehr erstaunt, daß hier von Rechtsanwalt Dr. Roßtäuscher noch nichts gekommen ist. Das sind sehr
große Gemütsathleten. Liebe Annimi, ich kann Dir nicht helfen; Du mußt jetzt mit Eifer und Emsig=
keit den beiden Anwälten zu Leibe rücken und sie immer wieder erinnern, daß das Menschenalter
im Durchschnitt nur 50 Jahre ist und man Sorge dafür trägt, daß man seine Nerven nicht mit
Gewalt ruinieren die Absicht hat. So viel menschliches Gefühl muß man doch noch aufbringen können.
Wenn Irmgard u. Hermann uns so befreundet ist, so könnten doch einmal auch diese Menschen
einen Freundschaftsdienst erweisen und Dich unterstützen. Ich habe früher jeden Menschen, der in Not
war, beigestanden, ideel oder finanziell; Warum findet sich jetzt niemand? - Ich weiß, daß Du alles tust,
Was Du machen kannst, aber mir scheint, Du bist auch manchmal etwas ratlos. Ich kann mir ja nicht
helfen hier, xxx xxxxxxxxx xxxxxxxxx xxxx xxxxxx xxxxxx xxx xxx
xxxxxxx xxxxxx xxxx xxx xx. Du
bist in Freiheit und mußt eben mit den Anwälten
in Verbindung bleiben. Zur raschen Beförderung ist ja die Straßenbahn da und wenn Du 10 mal fahren mußt,
das spielt keine Rolle. Ich möchte doch endlich einmal Gewißheit haben, daß meine Sachen in den Zimmern
vor den (xxx) diebischen Eingriffen verwahrt sind. - Ich bin etwas erkältet und bitte ich Dich
möglichst viel Eumatol Bonbons zubesorgen. Auch Seife (Kriegsseife), eventl. Rauchtabak, wenn möglich
Zucker, gezuckerten Zwieback u. was Du sonst noch denkst hätte ich gern. - Mein liebes Muckichen, jetzt
habe ich wieder viel Dir gesagt, aber Du magst verzeihen, wenn ich ab u. zu etwas hart wurde, aber mein
Zustand u. meine Nerven gehen mir manchmal in den Kopf, es ist auch nicht wunderlich, diese furcht=
bare Nervenprüfung! So warte ich halt wieder weiter - vielleicht denkt man doch noch einmal an mich!
Nun nehme für heute meine herzlichsten Grüße u. viele - viele Küsse entgegen
          von Deinem Dich immer liebenden
              Camillo


Herzl. Grüße an Irmgard u. Hermann!
Ottxxx u. Andere

Herzl. Dank für das Gebrachte!

Anmerkung:auf dem Brief befinden sich Tintenverschmierungen durch Tränen

© Horst Decker


     


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