Brief eines im Wehrmachtsgefängnis
München Stadelheim inhaftierten Soldaten

München, den 4. Dezember 1941

(es folgt der Stempel mit den Vorschriften der Standortarrestanstalt, München 19, Leonrodstr. 51)

      Meine innigstgeliebte Annemarie!
Du bist wirklich eine treue Seele und ich kann Dir gar nicht genug Dank aus-
sprechen für Deine übergroße Aufopferung. Du weißt, ich bin sehr tief veranlagt
und spreche nach dem Gefühl meines Herzens. Und mein Herz spricht nur immer
und immer wieder, daß wir Beide wirklich zusammen gehören. Ich freue mich wirklich
von ganzem Herzen, daß ich Dich als mein Alles auf dieser Welt besitze und ich nur an
Deiner Seite glücklich werden kann. Wie glücklich bin ich immer, wenn ich Dich sehen
kann; aber Du kamst mir so gedrückt vor. Bist Du am Ende krank oder was hattest Du?
Wenn nur einmal der Tag der Erlösung aus diesem Hause käme. Mein Gemüt ist direkt
melancholisch hier geworden und am liebsten möchte ich fast weinen; wenn man bedenkt,
daß ich hier nur mehr ein halber Mensch bin und auch als solcher behandelt werde. -
Bitte vergesse mir ja nicht, Dr. Kartini zu fragen, wofür die geforderten 250,- RM gehören:
für meine Sache hier oder die Ehescheidung. Ich hoffe nun zuversichtlich, daß Rechtsanwalt
Dr. Kartini doch endlich einmal zu mir kommt, lange genug hat er mich warten lassen.
Jetzt habe ich Dich voll und ganz kennen gelernt, daß Du mit jeder Faser des Herzens an
mir hängst. Ich werde Die es auch nie vergessen und werde Dich immer in Zukunft
auf Händen tragen. Da brauchst Du keine Sorge mehr haben, mein Entschluß steht
fest, daß ich Dein treuer Lebensgefährte bin und es bleibe. Ich möchte auch, wenn ich
herauskomme, mit Dir nach Augsburg zu Deiner Mutter fahren und persönlich mit ihr mein
Vorhaben der Verehelichung besprechen. Ich hoffe, daß alles gut wird und ich mit Dir den
Rest meines Lebens glücklich verlebe. Das walte Gott! Es ist nun schon die 5. Woche, wo
ich hier inhaftiert sitze und ich habe ja mein Ehrenwort bereits abgegeben, daß ich mich
nur korrekt verhalte, falls mir das Glück beschieden wäre, in Freiheit gesetzt zu werden.
Du weißt ja, daß ich in solchen Dingen, wenn es sich um ein Ehrenwort handelt, nur gewissen-
haft bin; das habe ich mmer noch so gehalten und werde es auch so halten. Bitte sei
so gut und gehe zu Bauer und lasse Dir für mich 10 Stumpen geben; er wird Dir sie sicherlich
für mich geben. Mein süßes Lieb, nur für Dich will ich weiter leben und will glücklich sein
und Du solltest auch einmal besser haben; nicht mehr den anstrengenden Dienst, sondern ein
liebes gutes Hausmütterchen werden, das wäre mein sehnlichster Wunsch. Was Du mit heute
wieder gebracht hast, ist rührend und ich werde alles Deiner gedenkend genießen. Die schöne
Weihnachtszeit kommt, das Fest der Familie und wie schön ist es, in Liebe vereint
zusammen das Famlilienfest zu feiern, am liebsten in stiller Zurückgezogenheit. -
Was macht mein kleiner Bär? Er wird natürlich nach mir Zeitlang haben und wird sich
auch auf meine baldige Ankunft freuen. - Dann hätte ich noch eine große Bitte
an Dich und zwar möchtest Du mir meine lange Hose und die gefassten englischen Schuhe
bringen, damit Du meine Reitstiefel und Breecheshose, die schon bald sehr zerrissen ist, wieder
zur Reparatur nachhause mitnehmen kannst. Auch meine gefaßten Wollhandschuhe zum
täglichen Spaziergang im Hofe würde ich gerne haben, denn mit den wildledernen Handschuhen
friert mir sehr in die Finger. Wenn Du künftig wieder etwas mit der Post schickst, dann
dafst Du nicht Feldpost senden, da dieselben während der Weihnachtszeit vom 6. und 24. Dez.
nicht gesandt werden dürfen. Die Pakete mußt Du halt dann frankieren. - Nun hoffe ich bald
auf eine Entlassung, dann bin ich ja wieder zuhause. - Wie geht es mit Deiner Gesundheit,
ich habe immer so viel Sorge um Dich. Vielleicht hast Du viel Kummer wegen der Wohnung?
Kartini wird schon alles richtig machen und ich verlasse mich ganz auf ihn. -
Mein süßes Lieb, nun schließe ich mein Schreiben und sage Dir herzlichst: "Gute Nacht";
ach, wenn nur diese Nacht wieder vorüber wäre! 14 Stunden Nacht ohne Licht ist bereits schon
eine Qual, Nun ja, ich hoffe auf ein baldiges Ende!
    Für heute nimm die innigsten Grüße und Küsse entgegen
      von
          Deinem Dich stets liebenden
              ...
Lasse bald wieder von Dir
hören !!!

Zucker u. Bonbons hätte ich gerne wieder!

© Horst Decker


     


ausgewählte Bücher zum Thema Zuchthaus Stadelheim