profilm.de Zeitzeugenberichte Briefwechsel Cuxhaven 1910-1918

Brief eines Sohnes an seine Mutter in Hamburg

                      Cuxhaven, 21.6.1910
            Liebe Mutter!
dein Geburtstag zwingt mich,
meine Schreibfaulheit zu beenden.
Mein Schweigen hätte aber Euch sagen
können, daß es mir wohl geht.
Zu Deinem Geburtstag sage ich dir
meine herzlichsten Glückwünsche.
Ich habe dem Nachfolger nun v.d. Zieth -
den Namen kenne ich nicht - geschrie-
ben, daß er dir ein Bukett Blumen
bringen möchte. - Ich kann Euch
mitteilen, daß es mir in Cuxhaven
außerordentlich gefällt. Zwar paßte
mir in der ersten Zeit dieses und jenes
nicht, aber jetzt nach 4 Wochen habe
ich mich schon so gut eingelebt,

daß ich schon gedacht habe, du könntest
immer hier bleiben. Ich glaube, daß
ich über kurz oder lang hier ange-
stellt werden kann. Mit der Pension
habe ich es glänzend getroffen. ...
Wohnen kann kaum besser sein. Vom
Balkon übersehe ich die ganze Elb-
mündung. Heut konnte ich sogar
mit meinem Fernglas das Segel-
rennen beobachten. Augenblicklich
liegt vor mir die Amerika, bis
über die Toppen illuminiert. Alle
einlaufenden Segelschiffe kann ich sehen.
Allerdings müßte ich, wenn ich längere
Zeit hier wohnen bliebe, kündigen,
da ich bei einem Gehalt von 133 1/3 Mark
im Monat nicht immer 85 Mark für
Pension übrig haben werde.

In die Schulverhältnisse habe ich mich auch
schon gut eingelebt. Zwar ist das Kollegi-
um mit dem Rektor gar nicht zufrieden.
Er kehrt zu sehr den Vorgesetzten heraus &
weiß alles immer besser. So kommt
es, daß sich beide Parteien aus dem
Wege gehen. In der letzten Konferenz
hat der Rektor, Winckler heißt er, einem
Kollegen von der Sitzung ausgeschlossen.
Ihr seht, die Lehrer liegen mit dem Rektor
in ewigem Steit. Vor ein paar Jahren
hat sich das gesamte Kollegium über
ihn beschwert. Der Landschulinspektor
in Hamburg mußte hierher kommen und
Frieden stiften. Winckler hat schon 2x
bei mir hospitiert. Er war zufrieden und
die häuslichen Arbeiten haben ihm sehr
gut gefallen. In diesen Tagen, zur Regatta,
soll auch der Schulinspektor kommen.

Mit den einzelnen Kollegen ist besser aus-
kommen. In nächster Zeit wird das ganze
Kollegium, mit Ausnahme des Rektors,
einen Nachmittagspaziergang machen.
Die Jungen in meiner Klasse sind alle
tüchtig. Sie sind alle ausgesucht aus
anderen Klassen. Fast alle wollen in 2 Jahren
ins Gymnasium oder in die Realschule über-
gehen. Die Väter gehören fast alle besseren
Kreisen an. Viele sind Lotsen, Hotel-
besitzer, angesehene Handwerksmeister,
einer ist Torpedooberleutnant, einer Ober-
lehrer am Gymnasium etc.

            In ein paar Tagen findet sich ja
Gelegenheit, wieder etwas von meinem
Leben hier, von Cuxhaven und Cuxhavener Ver-
hältnissen zu berichten.
           Es grüßt Euch alle herzlich
           Euer Otto.

© Horst Decker


   


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