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Brief aus Ungarn an Ehefrau in Frankfurt/Main, 4. Dezember 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, hatte sich wegen den anrückenden englischen Truppen aus der französischen Somme-Region zurückgezogen und wurde von dort an die Grenzregion Slowakei-Ungarn verlegt.
Mittlerweile ist sie auf dem Rückzug und in Ungarn angelangt, aber sie rückt wieder ein Stück vor.


O.U. d. 4.XII.44

Liebstes, gutes Frauchen mit Almute!
Heute, nachdem ich an den Bürgermeister
von Betschen wie an die Reichstierarztkam-
-mer die beiligenden Schreiben losgelassen
hatte, kamen 2 liebe Briefe von Dir,unter
anderen auch der mit dem Kündigungs-
-schreiben der Stadt Betschen an.
Du hast recht, wenn Du Dich über die
Art dieser Schriftstücke, dann aber auch
über den merkwürdigen Inhalt gewundert hast.
Mir ging es nicht anders. Allerdings
war ich ja schon vorgewarnt und nahm
daher die Sache nicht mehr so tragisch.
Deine 2 Schreiben konnte ich aufrechter-
-halten. Ich bin bei beiden auf die
Antworten gespannt.
Sachlich wäre gegen die Kündigung, solange
Du nicht dort wohnst, wenig anzugehen.
Im übrigen glaube ich doch, daß Schiff-
-mann alle Hebel in Bewegung setzen wird,
um uns eine anständige, wenn nicht bessere

Wohnung als Ersatz anzubieten. Ich würde
dann nicht nein sagen, einmal, weil
man die Verpflichtungen gegenüber der Stadt
los wäre, zum anderen ein Umzug nach dem
Angebot der Leipziger Eltern Dich nur wenig
treffen würde. Vielleicht läßt sich zudem
da etwas mit meinem doch einmal fäl-
-ligen Urlaub ausrichten.
Das Schreiben an die Reichstierarztkammer
ist der 2. Angelhaken. Ich will halt
niemals etwas unversucht lassen, wenn ich mich
dadurch verbessern könnte.
Kurzum, es gilt da zunächst mal einige
Tage abzuwarten. Wenn es die Lage erlaubt
- im Augenblick ist das leider noch nicht
der Fall - werde ich dann schon sehen,
mich persönlich mit einem Urlaub ein-
-schalten zu können. Im Moment muß
ich's halt so versuchen.
Durch die deutschen Angriffe der letzten
Tage macht sich morgen ein erfreulicher

Stellungswechsel nach vorne notwendig.
Ungemütlich ist dabei nur die gemeine
Kälte, die man lieber aus dem warmen
Bunker erlebt als daß man den ganzen
Tag auf der Landstraße liegt. Wenn
mir auch die Kälte an sich weniger tut
als mancheinem anderen, so bin ich dagegen
doch recht empfindlich und sehne mich
richtig nach dem sonnigen Süden.
Draußen ist ein wunderbarer Sternenhim-
-mel, ein Spaziergang zwischen den Stern-
bildern macht da viel Freude. Wann
werden wir das mal gemeinsam tun
können, wann einmal zusammen etwas Astro-
-nomie betreiben? Ist sie doch die Ikone
der Naturwissenschaften, weil sie uns Men-
-schen zu größeren Welten Einblick gewährt
und uns dauernd die Nichtigkeit alles des-
-sen, was uns umgibt, vor Augen hält. Dort
oben irgendwo, da steht unser guter Stern,
der uns zusammengeführt hat und uns
durch ein schönes und inhaltsvolles Leben

führen soll. Erfassen können wir ihn nicht,
aber glauben wollen wir an ihn.
Der Tag heute war angefüllt mit allerlei
Kleinkram. Behandlung, Packerei, Fleischunter-
-suchungen und Schreiberei.
Am Abend habe ich ein bissel gelesen,
unter anderem in einem in einer letzlich
bewohnten Duchsta (so heißt man hier die Güter)
gefundenen katholisch-christlichen Erbauungs-
-buch. 'Nachfolge Christi', es stammte aus dem
14. Jahrhundert, ist also vorreformatorisch und
ganz interessant zu lesen. In dem 'pferde-
ledernem' Buch überschlug ich das Kapitel Mu-
sikgeschichte und las endlich noch etwas Fach-
literatur. An meiner Müdigkeit aber merkte
ich, wie ungewohnt mir schon die Leserei ge-
-worden ist. Drum sei mir nicht böse,
wenn ich mit dem Ende dieses Briefbogens
auch Schluß mit der Schreiberei mache. Umso
enger bin ich mit meinen Gedanken beim Zu-
-Bette-gehen bei Dir. Da kuscheln wir uns inein-
-ander, paludern noch ein bissel und wollen mit den
innigsten Küssen eins sein, Du und Dein Schneider
                               

© Horst Decker





     




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