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Brief von der slowakisch-ungarischen Grenze bei Sered an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 16. Oktober 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, hat sich wegen den anrückenden englischen Truppen aus der französischen Somme-Region zurückgezogen und ist nun in der Grenzregion Slowakei-Ungarn stationiert, wo die Truppe in Sered neu aufgestellt wird.
Dr. Schneider berichtet von dem guten und friedensmäßien Leben und dass er am kommenden Tag ein ein geräumtes Haus einer jüdischen Familie einziehen wird, worauf er sich einerseits freut, anderenseits beklagt er die 'Geschmacklosigkeit' der Einrichtung der Häuser von Juden.
Es gibt Anzeichen, dass Ungarn sich als Verbündeter der Deutschen zurückzieht.


O.U. d. 15. 10.44

Mein liebes, gutes Frauchen, Du!
Heute kam die Königsbrücker Post nach, also
konnte ich zufrieden sein. Damals schrieben
mir noch die Eltern die erste Antwort auf
meine Ankündigung des Aufenthalts in der
Slowakei. Sie wünschen uns 2 Schönen alles
Gute für die Zukunft. Dabei freut mich, daß
sie mich in keiner Weise als 'ihren' Sohn
exponierten. Daß ich Dir die guten Wünsche
in vervielfachter Form weitergebe, versteht
sich am Rande.-
Das Neuste hier unten in der politischen
Wetterecke Europas ist der Abfall (angeblichen!)
Hortys d.h. auch in Ungarn kriselt es.
Davon wird aber, denke ich in den nächsten
Tagen mehr zu erfahren sein.
Wir leben inzwischen weiter in den Tag hinein,
veranstalten Essen, Reitjagden und ähnliche
Feste (?), kurzum 'wir leben'!
Ja, und Du meine liebe Margot wirst mich
bei solcherlei Tun sicher mit scheelen Augen
anschauen. Oder etwa nicht? Nun, beides wäre
nicht zu Unrecht, denn einenteils leben wir
tatsächlich in mancher Hinsicht für unsere
Begriffe wieder mal friedensmäßig, wenn es auch
anderenseits ein Pulverfaß ist 'auf' dem, sicherlich
auch 'in' dem wir sitzen.

Das neckische Briefpapier mußt Du heute mal
entschuldigen. Morgen, nachdem ich dann in eine
leergewordene Judenwohnung eingezogen bin, werde ich
auch sicherlich Briefpapier vorfinden.
Das ist hier z.Z. die Methode, sich nette(?)
Quartiere zu beschaffen. Ganz sympatisch ist
mir das allerdings insofern nicht, als diese Häuser
reichlich viel Geschmacklosigkeit atmen.
Na, ich werde darauf zurückkommen, wenn ich ein-
-mal dort bin. Vorerst bin ich noch in meiner
einfachen Behausung und fühle mich auch
darin recht wohl.
Heute abend gibt es Hasenbraten - selbstgeschossen.
Es hat recht ordentlich geschmeckt. Morgen
will ich dann als Ausgleich zum Zahnarzt
schawenzeln, der mir schon das schöne
Leben versalzen wird.
Frauchen was wirst Du jetzt treiben? Liegst
sicher schon im Bett, versuchst unseren Laus-
buben oder -mädel zu beruhigen oder denkst
an Deinen Schwerenöter Wolfgang, der aber
keiner ist; denn das habe ich früher nicht
zu sein brauchen, um vieles weniger aber
erst jetzt, wo ich so glücklich verheiratet
bin. Da gibst Du mir doch sicher recht.
Auch darin, wenn ich Dir jetzt eine Unzahl
verliebte Küsse abfordere? Aber ja, kriegst sie ja
'bezahlt' mit der gleichen Menge, mit innigen
Liebkosungen u. herzlichsten Grüßen von
Deinem Wolf

© Horst Decker