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Brief von der slowakisch-ungarischen Grenze bei Sered an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 12. Oktober 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, hat sich wegen den anrückenden englischen Truppen aus der französischen Somme-Region zurückgezogen und ist nun in der Grenzregion Slowakei-Ungarn stationiert, wo die Truppe in Sered neu aufgestellt werde soll.
Der Schneider fühlt sich krank, er beht in die Stadt, in der Friedensbedingung herrscht, die Geschäfte sind voll und deren Ware begehrlich, aber Dr. Schneider hat kein Geld.


O.U. d. 12. 10.44

Liebes Frauchen!
Heute stimmt irgendwas nicht mit
mir. Völlig zerschlagen laufe ich schon
am ganzen Vormittag herum, ohne
zu wissen warum.
Seit Tagen bin ich Abstinenzler und
lebe sehr bescheiden daher. Ja, und
trotzdem ist da irgendetwas nicht in
Ordnung. Mag sein, es ist da eine Er-
-kältung, ein bissel Grippe im Anzuge.
Vielleicht hat mich ein unangenehmer
und nicht recht nach Programm ab-
-holender Patient verärgert? Oder sollte
Dir etwas zugestoßen sein?
Aber nein, das darf und wird nicht
sein!
Du siehst, es gibt Stunden, in denen
Dein Mann ordentlich zappelig sein kann.
Daran ist eben die elendige Ungewißheit
und vor allem die große Sehnsucht
nach Dir schuld. Glaubst Du nicht

auch Frauchen?
Komm, gibt mir schnell ein paar Bus-
-serl, dann werd ich schon wieder zu-
-frieden und ruhig werden.
Am Morgen war ich mit dem Pferd
bei den Batterien, hielt noch einen
Pferdeappell ab und machte frühzeitig
mit der Herumwurschtelei Schluß.
Nach dem Essen machte ich mich
dann auf der Chaise lang. Davon
wurde mir jedoch nicht besser und
so tigerte ich los, um noch ein paar
Kleinigkeiten, nämlich Uniformbezugschein,
für mich zu besorgen. Dabei kam
ich raus an die frische Luft, die ja
hier unten noch sommerlich anmutet.
An der Waag entlang, dann durch
die Stadt, wo überall reges Leben herrschte.
Die slowakische Jugend gibt sich in
den Hauptstraßen ein Stell-Dich-ein. Die
Geschäfte lassen einen beim Vorbeigehen
Stielaugen machen. Aber, aber ... na, Du
kennst ja meinen Kummer.

Der Schein von der Standortgebührenstelle
ist nun auch weg. Es wird ja Zeit, daß
Du das Geld bald zugeschickt bekommst.
Wieso und warum, erzählte ich Dir schon
gestern. Hast Du mich da auch ganz
verstanden, Margot?
Frauchen, sei mir nicht böse, wenn ich
dann und wann einmal vielleicht etwas
zu deutlich meine Meinung sage. Ich
glaube jedoch ganz sicher, am Ende ver-
stehst Du mich richtig und wir sind
uns da einig.
Wenn man sich doch bloß ganz hätte,
um immer Liebe und damit unser gemein-
-sames Glück haben zu können. Die
größten Opfer hast Du bisher für mich
gebracht und ich wünsche nur eins, daß Dir
diese Zeit nicht allzuschwer werden mag.
Es ist wahrhaftig ein großes, wenn nicht
das größte Geschenk, was Du mir in diesen
Zeiten bringen konntest, als Du Mutter
unseres Kindes zu werden begannst.
Frauchen, was das für mich heute bedeutet,
ist nur schwer zu ermessen.

Mag sein, daß wir uns in diesem Gedan-
-ken oft, ja sehr oft gegenseitig treffen.
Es wäre mir einer der vielen Beweise des
völligen Aufgehens ineinander, von dem
ich Dir und Du mir schon so manchmal
schriebst, was wir stundenweise schon erleben
konnten, das vollends auszukosten oder
besser für immer zu leben wir uns so
sehr ersehnen.
Ja, Frauchen, bis dahin wird noch man-
cher Monat vergehen und manches Schwere
durchzustehen sein.
Und dennoch sind wir gut bei alledem
anderen gegenüber dran, weil wir uns
nicht allein wissen.
Diese Gedanken sind es, die mich jetzt,
wo ich mich mal schnell im Bett ver-
kriechen will, beschäftigen und da, glau-
-be ich, wird Dein Wolfgang sicherlich
schnell selig entschlummert sein und mor-
-gen in besserer Verfassung wieder aufwachen.
Liebste, gute Nacht innige Umarmun-
-gen und viele, viele liebe Küsse von
Deinem
Wolf


© Horst Decker