Brief von der westlichen deutschen Reichsgrenze, an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben am 15. September 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, befindet sich auf dem Rückzug aus der französischen Somme-Region und befindet sich bereits im Raum Aachen. Von hier wird der weitere Weg quer durch Deutschland führen. Ziel ist vorerst der Truppenübungsplatz Königsbrück bei Dresden.

O.U. d. 15. 9.44

Meine liebe, gute Frau!
Nun habe ich doch schon einige
Briefe von Dir. Sie sind von den
Tagen vor der Abreise von Betsche.
Daß da alles so gut geklappt hatte,
freut mich aufrichtig.
Frauchen, findest Du doch dann das
Notwendigste vor, wenn Du mit unserem
Jüngsten in unser Heim zurückkehrst.
Heute morgen habe ich ein Telegramm
an Dich weggeschickt, um recht bald
auch von Dir Nachricht zu bekommen.
Ich will Dich doch gut in Frank-
furt angekommen wissen.
Dein Umfang muß jetzt ja unheimlich
sein, wenn selbst Mutti meint, ich (?)
hätte mit den Drillingen recht. Na,
es ist halt ein Scherz und wir sol-
len mal lieber mit 'einem' gutge-

ratenem Gör zufrieden sein. Wenn
das Lütte gar zu toll herumstram-
pelt, mußt Du ihm mal etwas
von seinem Vater erzählen. Ob er
dann vielleicht nicht doch Ruhe
gibt?
Könnte man bloß bei Dir sein
und Dir - und sei es nur durch
kleine Handreichungen, gute Worte
und mit ein paar Liebkosungen -
über schwere Augenblicke hinweghelfen.
So muß das alles in Gedanken
geschehen. Das tut Dein Mann dafür
aber um so mehr, dessen kannst Du
sicher sein.
Ich tue es, wenn sich hier das rhein-
ische Trauervolk sehe und dann
an unser liebes Frauchen denke, was
doch alles in Haltung und Frische,

in echter Liebe und Mütterlichkeit
übertreffen muß. Ja, und da bin
ich dann jedesmal ganz stolz und
glücklich darüber.
Sehe ich das Häufel Kinder, was
da jetzt täglich um unseren Wagen-
park und unsere Pferde herumquirl,
da freue ich mich über deren fried-
liche Gesichter, über die Lebendigkeit
und Sorglosigkeit all dieser Gören.
Ganz gleich ob Bub oder Mädel,
ob blond oder dunkel, es ist ein
goldiges Völkchen. Ist da nicht
Grund genug vorhanden, an Dich, an
unsre werdende Mutti zu denken
und Ihr für so manche schöne
Stunde Dank zu sagen? Liebling
schnell einen Kuß, der uns beiden
das bestätigen soll.
Heute habe ich noch ein Paket von
Mulltüchern ergattert. Wir können das
entbehren, es wäre aber möglich, daß
Du sie recht gut gebrauchen kannst.
Daneben will ich noch ein bissel
Tee und ev. noch anderes Zeugs mit-
zuschicken versuchen. Dann werde ich
wohl meine Hauptbeschäftigung darin
suche müssen, den Daumen zu halten,
daß die paar Sachen ankommen.
Denn vom Übungsplatz Königsbrück
kann ich gewiß nicht solche Pakete
wie von Demer nach Hause schik-
ken. Und ich täte es so gerne. Nein,
wenn ich an die Möglichkeiten Demers
denke! Was habe ich Dich da doch
verwöhnen können, na ich will besser
sagen 'hätte' können. Denn es geschah
doch alles nur im Rahmen des
Besorgtseins um seine Liebste, bestimmt
weniger um etwas Lüttes.

Meinst Du nicht auch, daß man
dann noch etwas mehr getan hätte?
Auch Frauchen, es war damals doch
eine gesegnete Zeit.
Heute vormittag habe ich per Pferd
die Batterien abgeklappert. Pferdebehand-
lung und Ausmusterungen für
Abstellungen.
Am Nachmittag Gutachten und schließ-
lich ein Kinobesuch. 'Seine beste
Rolle', ein kleiner Liebesfilm. Vorher
war noch ein ordentlicher Kulturfilm
über Baustile, recht interessant.
Am Abend noch ein bissel Kommiß-
Ärger über Pferdetauschereien, die
allerhand Arbeit im Gefolge haben.
Du siehst, langsam, aber sicher läuft
der IVc - St. Bürokram wieder an.
Am schönsten war der Vormittagsritt

durch das Bergische Land, durch
Laubwald, Mulden, über Berge und
Felder.
Wann werde ich das mal mit
Dir machen können? Wann wird
unser Purzel sich mit Freude
auf ein Pferd setzen lassen?
Herrgott! man kann das alles
kaum noch erwarten.
Aber erst heißt es den Krieg be-
enden. Der böse Feind rückt uns
doch schon mächtig auf die Pelle.
Aaachen und die Grenzorte werden
schon geräumt. Da gilt es mächtig
den Daumen zu halten.
Frauchen, wir sollen's aber beide in
gleicher Weise mit dem Glauben an
unseren guten Stern halten. Nicht lange
dann werden wir uns nicht nur in Geden-
ken umarmen, ineinander aufgehen und
ganz füreinander leben können. Mit
innigen Küssen u. lieben Grüßen bin
ich so Dein Schnucki

© Horst Decker