Brief von der westlichen deutschen Reichsgrenze, an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben nachts am 09. September 1944

Die Truppe, der Dr. Schneider angehört, befindet sich auf dem Rückzug aus der französischen Somme-Region und rastet in der Stadt Gangelt, ca. 35 km nördlich von Aachen, sie wird im Laufe der nächsten Tage auf dem Weg an die Ostfront Deutschland durchqueren

Gangelt d. 9. 9.44

Meine liebe, gute Margot!
Heute war mal wieder seit langem
ein Packetag d.h. es galt einige Päckchen
klar zu machen. Eines für Dich d.h
1 1/2, denn an einem 2. an Fam.
Kretschmer abgeschickt dürftest Du auch
weitgehend beteiligt sein. Ein Zigarren-
kistchen schickte ich auch nach Leipzig.
Die Hauptsache nur, das wenige kommt
nun auch wirklich an und geht
in dem hier jetzt einsetzenden Trubel
nicht unter. Durch die beginnende
Evakuierung und den vielen Landserpa-
kete sind die Postanstalten mehr
als überhäuft und was das bei der
derzeitigen Luftlage bedeuten kann,
wirst Du Dir vorstellen können.
A propos - Luftlage! Frauchen, in

der Rhein-Maingegend ist z.Z. wieder
mal recht viel los, so daß ich Dich
gar nicht so gerne dort hingondeln
sehe. Ich denke aber, Du bist so
vernünftig und verflüchtigst Dich recht
schnell in ein abgelegenes Mütterheim.
Tue es mir zuliebe! Ja?
Frauchen, ich will Dich in Ruhe und
Sicherheit während der schweren Monate
wissen. Ist unser Gör da und bist
Du dann eine glückliche Mutti,
kann das Kriegsende nicht mehr
weit sein und wer weiß, ob ich
Dich dann nicht persönlich aus dem
Heim abholen kann. Jedenfalls ist
das so ein kleiner, nein ganz großer
Wunschtraum von mir. Kommt es an-
ders, nun, dann wird auch das ertra-
gen. Lange wird's aber nicht dauern,

daß ich als stolzer Vater meinem
Frauchen meinen Dank ganz anders
sagen kann, als wie es bis heute nur
möglich war.
Na Du verzeihst mir, wenn ich mich
mitunter in die so sehnlich gewünschte
frohe Zukunft flüchte, um das
derzeitige, dürftige Dasein ein bissel
zu überbrücken.
In, Frauchen, in solchen Zeiten wissen
wir unser Glück erst so recht abzu-
schätzen. In Friedenzeiten hätte man
es vielleicht garnicht in dem Maße
gespürt. Dem Schicksal darf man
daher garnicht mal allzu gam sein -
kurzum, Frauchen, wenn wir ganz
beisammen sein werden, wird es schö-
ner werden, als wir es uns jetzt vor-
stellen können, das glaube ich fest.

Erster Unterpfand wird dann unser
Lütter sein, ganz gleich ob eine Al-
mute oder ein Volker.
Du, ich freue mich unendliche da-
rauf. Ja, und weißt Du, man tut
das heute schon so ganz anders
und selbstverständlich, wie in den
Monaten vor unserer Trauung.
War es auch kein Fest - so un-
festlich wird wohl selten einmal jemand sei-
ne Hochzeit feiern - haben wir
doch diese endliche Verbindung wie
wohl selten ein Ehepaar so tief
und beglückt empfunden. Alles
Unwesentliche war abgestreift, der
Kern allein und nur das wirklich
Echte lag bei unserem 'Ja' vor uns.
Wer kann das wohl in dem Maße
für den Moment von sich behaupten?

Schnell ein Busserl und dann
sei mir nicht böse, wenn ich dieses
Kapitel anschlage.
Frauchen, ich meine mitunter, ich
müßte es tun. Und das nicht zu-
letzt im Hinblick auf unser
letztes Beisammensein. Wir haben
da vor lauter Seligkeit nur wenig
Worte gemacht, haben uns immer
wieder ganz innig gefunden und
haben uns damit eigentlich alles
gesagt und waren doch beide un-
zufrieden, weil es in unserer Lage
nicht möglich war, mehr für den an-
deren tun zu können. Und das
wollen wir doch auf noch so vielen
Gebieten. Freilich bist Du mir da
ein paar Ellenlängen voraus durch
Deine Mutterschaft und die vielen

damit im Zusammenhang stehenden
Sorgen.
Ja, Liebling, dafür muß ich Dir
unheimlich dankbar sein.
So kann ich mich halt jeden
Tag hinsetzen und an das ärmliche
Dasein ohne Dich zurückdenken und
froh sein, Dich zu besitzen und
damit reich geworden zu sein.
Nur, Dich beseelen ähnliche und
gleiche Gefühle, das weiß ich. Du
sollst aber gerade jetzt immer
wieder wissen, was Du mir wert
bist, Du, mein liebes, liebes Frau-
chen.
Der heutige Tag brachte über
unser Schicksal wiederum nichts
Neues. Langsam glauben wir nicht
mehr daran, neu aufgestellt zu werden,

sondern irgendeiner Division oder
Kampfgruppe zugeteilt zu werden.
An sich schade, aber - na, ja, wir
werden es sehen!
Frauchen, es ist das heute der
letzte Brief nach Betsche. Ein 2.tes
mal kehre ich also die Anschrift
Richtung Frankfurt um. Die Päckel
sind beide nach Fr. adressiert.
Mitternacht ist inzwischen vorbei.
Laß mich dann Schluß machen.
Im Radio singt da gerade jemand
'Dein ist mein ganzes Herz!'
Ich umarme Dich in Gedanken bin
ganz bei Dir und bin mit vielen
innigen Küssen und ganz herzlichen
Grüßen
Dein Wolf

© Horst Decker