Brief aus Nord-Frankreich an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben 30. August 1944

Dr. Schneider befindet sich in der französischen Somme-Region, seine Kompanie zieht sich etappenweise zurück, gerüchteweise zu einem Einsatz im Osten, die Kampfmoral ist wegen der stetig wachsenden alliierten Überlegenheit schlecht, man wartet auf den Einsatz der Wunderwaffen.

O.U.d. 30. 8.44

Mein liebes Frauchen!
Nachdem Du heute morgen schon
einen Gruß erhalten hast, kommt
nun noch ein ganz behäbiger und
fauler.
Weißt Du warum? Nun, ich liege mal
wieder in einem frisch bezogenen französi-
schen Bett. Es ist so breit, daß man
quer darin liegen könnte. Außerdem
gab es zum Abendessen ganz
phantastische Eierpfannkuchen mit
Marmelade, davor köstliche Brote
und hinterher noch regelrechte Schlag-
sahne. Da staunst Du, was? Ich
staunte auch. Das Essen ist in
dem neuen Haufen überhaupt groß
geschrieben. Das ist aber ganz im
Rahmen des Erlaubten. Auch die Sol-
daten habens nicht schlecht.

Es gibt ja überall hier oben in
Frankreich noch Lebensmittel zu kaufen.
Butter, Eier und Fleisch sind daher
stets vorhanden. Das sind z.Z. auch
garnicht unsere Hauptsorgen.

Diesmal brennt es wo ganz anders
auf den Nägeln und das sind rein
soldatische Fragen, die ihrer Beantwortung
harren.
Nun, die Heimat weiß schließlich auch
davon, kennt aus Frontberichten die
ungeheure Überlegenheit des Gegners, die
nach all den hinter uns liegendem
natürlich nicht kleiner geworen ist. Im
Gegenteil! Die Kampfmoral ist halt
jetzt auch nicht mehr die alte.
Es wartet jetzt halt alles auf den
Einsatz der neuen Waffen, an sich
keine erfreuliche Angelegenheit, wenn
man sich ohne sie dauernd nur
laufen oder besser absetzen darf.

Gestern und vorgestern war wenigstens
in der Luft wegen des schlechten
Wetters Ruhe. Heute morgen, wo ich
den Brief abschickte, sind die Burschen
wieder da.
Die Somme-Landschaft ist recht reiz-
voll. Nette kleine Täler, hübsche Bau-
erndörfer sind von unheimlich vielen und
sehr bunt aussehenden Bauerngärten ge-
schmückt. Das Land könnte reich sein,
ist's aber wegen der Kriegszeiten heute
noch nicht wieder. Man bemerkt es vor-
erst an den Straßen, die ja sonst in
Frankreich erstklassig sind, dann aber auch
an dem Verfall der Häuser.
Der Menschenschlag gleicht fast dem
der Normandie, vielleicht sind die Men-
schen schon etwas behäbigr und größer,
schon den Vlamen mehr artverwand.
Irgendwelche Sympathien hegen die
Leute z.Z. kaum. Warum auch, wenn sie

eine geschlagene Armee an sich vor-
beiziehen sehen und den Tommy
erwarten können. Das Wiederkommen
ist für sie nicht so naheliegend
wie es für uns sein muß, wenn wir
uns nicht selbst aufgeben wollen.
Na, das wird uns alles die nächste
Zukunft erklären. Vorerst heißt hier
die Parole weiter 'nach Ostland geht
unser Ritt!' Warum soll damit nicht
mal Ostfrankreich gemeint sein?
Frauchen, ich vermisse Dich jetzt
sehr, zumal ich so bald keine Post
von Dir bekommen werde.
Ich umarme Dich und bin mit vielen Lieb-
kosungen, innigen Küssen und sehr
herzlichen Grüßen
            Dein Wolf

Grüß auch die Eltern und dann vor
allem auch immer Würgel.

© Horst Decker