Brief aus Belgien an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben 05. August 1944

Dr. Schneider befindet sich auf dem Rückmarsch von Brüssel an die Maas in Holland

O.U.d. 5. 8.44

Mein liebes Frauchen!
Gestern bin ich nicht zum Schreiben ge-
kommen, es ging immer fein 'vorwärts'!
Etwas Erfreuliches an unserem Rückmarsch war
der Moment, als wir über die wallonisch-
flämische Sprachgrenze kamen.
Nachdem vorgestern südlich Brüssel Glashäuser,
Gärtnereien und städtisches Leben Trumpf waren,
gab es gestern wieder Bauernhäuser. Heute
nun gehts durch die Provinz Limburg und
über die Maas. Landschaftlich nicht beson-
ders reizvoll, hat die Gegend doch viel
Gutes für unsre Marschiererei. Die Straßen
sind von hohen Bäumen überdacht und
seitwärts sind Kiefernwälder und mitunter sieht
man darüber eine Kohlenabraumhalde darüber
hinausragen.
Die Leute sind hier nicht wesentlich freund-
licher geworden, obwohl man sich jetzt mit
der deutschen Sprache wieder gut verständigen
kann.
Gestern Abend hatte ich mit dem Kommandeuer
nach der Wegeerkundung in einem Café halten

Halt gemacht. Ich konnte mich längere
Zeit mal mit den Leuten unterhalten.
Sie sehen die Sache folgendermaßen:
Hoffentlich kommen bald die Engländer, da-
mit wir wieder hinter den Fronten unsere
Ruhe haben. Im großen und ganzen
wollen wir dann froh sein, wenn es ihnen
unter englischer Regie nicht schlechter
geht als unter deutscher. Du siehst, die
Parole heißt einig und allein 'Wir wollen
unsre Ruhe haben.'
Mir gegenüber waren die Leutchen recht
freundlich, es gab unter anderem auch mal
Torte und Bohnenkaffee.
Nachrichten bekommt man kaum welche
und wenn, dann sind es nur schlechte
Parolen, die sich zumindest als übertrieben he-
rausstellen. Wer weiß, was ihr zu Hause nicht
alles erfahrt. Na, trotz allem geht uns die
Sonne nicht unter, meine ich.
Frauchen, ich muß gleich los, ich habe einen
Trupp müder Pferde über die Maas zu bringen.
Komm, laß Dich umarmen und dreimal ja
wieder für gleich 2 Tage ganz lieb und
innig abküssen von
            Deinem Wolf

© Horst Decker