Brief von der Westfront an Ehefrau in Frankfurt/Main, geschrieben 6. Februar 1944

6. II.44

Mein liebes, gutes Frauchen!
Die Tage gehen weiter so öde und
langweilig vorüber, der Dienst geht im
Augenblick für mich in sehr ruhigen
Bahnen
Man schaut sich einige Patienten an,
regelt den notwendigen Papierkrieg, steht
mal mit dem Futter- oder Beschlag-
meister zusammen und trinkt einen
essigsauren Heurigen, klönt ein bissel
und baut Luftschlösser für den künf-
tigen Frieden, der aber sicher noch hart
erkämpft sein will. Dann taut und
regnet es, so daß man wenig Lust
verspürt, sich daußen lang herumzu-
treiben. Am Ende findet man sich
sehr bald wieder in seiner allerdings

wenig gemütlichen Klause ein, liest
ein bissel oder - faulenzt d.h. man
steht am Ofen oder liegt auf der
Couch und träumt, träumt von den
Lieben zu Hause und ist dann
für die Umwelt nicht mehr vorhanden.
Man lacht sein liebes Frauchen an
und streichelt sie glücklich als seinen
wertvollsten Besitz auf dieser Erde und
schaut dann gemeinsam nach unsrer
Almute, krabbelt sie hier und da
und freut sich, wenn sie dabei ihr
Gesichtel zu einem Lachen verzieht. Aber
das tut ja unser Sonnenscheinchen
auch ohne dem. Aus solcher Eltern-
liebe konnte doch nur ein ordentlich
frohes Menschenkind geboren werden.
Wo mag der kleine Lauser nach meiner

Abfahrt schon wieder alle angestrahlt ha-
ben ?
Heute sage ich mir schon, ich hätte in
Frankfurt mit meinem Töchterchen mich
zu wenig rumgetrieben, sie viel zu wenig
verwöhnt. Aber es konnte in dieser kurzen
Zeit ja gar nicht anders sein. War man
doch von all der Liebe und all
der Freude, die mit dem Gör zusammen-
hing so beeindruckt, daß man eher
stiller als lauter wurde. Ging es doch
uns beiden selbst ebenso. Wir waren
so überrollt von unserem Glück, daß wir
im Grunde nur wenig erzählten und
wohl das Meiste uns durch ewige
Liebkosungen sagten und dann, wenn
wir ganz eins waren, Frauchen ich habe
Dich so lieb.
Sieh, Liebling, ich glaube, wir können uns be-

glückwünschen, daß wir in den Stunden
des engsten Beisammenseins und Sichfindens die
nur körperlichen Begierden von uns verbannt haben.
Wir suchen doch keine momentane Befriedigung,
sondern nur die beste, innigste und ausschöpfend-
ste Möglichkeit, uns zueinander zu bekennen und
einander ganz nahe zu sein. Ja, ich glaube, es
gibt da auch gar keine Worte, ob etwas gut,
schlecht oder vielleicht pervers sein könnte, nein,
es gibt bei solch inniger Liebe und seelischer
Verbundenheit nur das große Glück, sich dem an-
dern ganz zu schenken und Gleiches wieder zu
empfangen.
Du fragts, warum ich das heute schreibe? Nun
Frauchen, es kam mir so in die Feder und
wenn ich Dir von unsrer Liebe erzählen kann,
dann mach ich und will ich so schnell auch
gar nicht aufhören. Geht es mir doch auch
jetzt so, wo ich Dir Gute Nacht! sagen will, und
Dir u. der Lütten sehr liebe Busserl aufdrück
als Dein Wolf

© Horst Decker