profilm.de Zeitzeugenberichte Lager Pouxeux

Brief aus dem französischen Gefangenenlager Pouxeux bei Epinal/Frankreich,
geschrieben am 15.02.1947 an Ehefrau in Frankfurt/Main

15.2. Liebes Volkerlein! Zu Deinem dritten Wiegenfeste sende ich Dir meine
herzlichsten Wünsche und die liebsten Küsse. Leider kann ich bei
Deinem Geburtstage nicht mitfeiern, obwohl ich die feste Absicht
dazu hatte, doch unsere Stunden sind gezählt. Na, wenn
ich endlich komme wird vieles nachgeholt und die
Freude wird groß sein, hoffentlich kennst Du Deinen Papi noch.
Ihr Lieben! Voerst vielen Dank für Mutschs Päckchen vom 8.1.
bestehend aus 2 Büchsen Suppen, 1 Dose Zucker, 2 Pudding,
2 Päckchen Eiweiß-Austausch. Alles kam gut an, die verschlossenen
Büchsen ob maschinell oder auf eine andre Art werden nicht
geöffnet. Die Suppen sind gut, in der einen ist Huhn mit
Gemüse, die wir in der ersten Zeit auch beim Ami bekamen,
dreimal bzw. zweimal täglich, die andere enthält eine
Spargelsauce. Da der Ami fast kein Frischgemüse kennt,
nimmt die amerikanische Hausfrau eine solche Büchse u.
eine mit Gemüse, erwärmt beides in einem Topf und das
Gemüse ist fertig. Ich werde schon aus diesen Gegenständen
etwas kochen. Heute kamen folgende lb. Briefe an: Mutschs
vom 30.1. u. 2.2., sowie der von Eltern vom 2.2., so kommen
in der Woche regelmäßig 2 Briefe an. Da es keine Zensur mehr
gibt, kann ich meine Briefe immer weiter so ausnutzen. - Die
Angelegenheit des Mantels ist scheinbar doch nicht so grau,
wie ich es sah; das Wirtschaftsamt wird schon ein Einsehen
mit einem armen Heimkehrer haben.- überall Bezugsscheine -,

Es ist gut, wenn man Beziehungen hat.- Freiwillig werde ich nicht
für Frankreich arbeiten, Pah! dieses Land! Ihr könnt es ja kaum
ahnen, wie es uns Gefangenen hier geht, Krieg will ich keinen mehr,
aber gegen Frankreich, wehe !!! Was die Leute nur für Sorgen haben,
und Dich zu beneiden, für was denn ? - Das Mehl 'Salak' ist hier
auch schon auf der Stube durch einen Frankfurter Kamerad empfangen
worden, er hatte es schon gekocht, na man kann es essen, kein
Wunder bei dem täglichen Gebrauch, daß man dabei zunimmt. Ich glaube,
daß ich wieder stark abgenommen habe, es geht immer auf und
ab. In der letzten Zeit beim Ami war ich sehr dick, dann nahm ich
wieder stark ab, in Ménil holte ich wieder auf, doch jetzt kann
man jedes Knöchlein zählen. Hoffentlich bin ich wieder bald in
Deiner Pflege, daß es mir dann besser geht, denn wenn eine Haus-
frau kocht, kann sie doch mehr aus den täglichen Rationen
kochen, als wir Männer und sei es noch so wenig. Arbeiten gehe
ich nicht mehr, es sei denn hier im Lager. Ich freue mich schon
auf die angekündigten Päckchen, die hoffentlich bald ankommen
werden, verloren gehen sie sicherlich nicht, nur dreht es sich darum,
wie die Laufzeit ist. - Ich werde natürlich mein sämtliches Geld,
das ich mir verdient habe, in Lebensmittel umsetzen. Hier
kann nur mit Lagergeld in der Kantine gekauft werden. Deutsches
Geld hat keine Gültigkeit. Allerdings ist nun bald mein Konto
erschöpft und dann ist nur mein einziger Verdienst meine
Zigaretten, die auf dem 'Schwarzen - Markt' umgesetzt werden.

Manchmal komme ich mir sehr vereinsamt vor, doch
bin ja nicht der einzigste, es geht noch vielen Tausenden so.
Auf der einen Seite urteilt man die Kriegsverbrecher ab und
uns sperrt man ein. Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit?
Die Frage der PG's wird auch mit der Zeit gelöst werden, über
diese Narbe wächst auch bald Gras.
Auch den Päckchen der lieben Eltern sehe ich gerne entgegen
und freue mich jetzt schon darauf, bedeuten sie doch einen
Zuschuß. Als Gefangener ist man schon ziemlich
Schmerz gewohnt und kann gut Hunger vertragen, doch
ohne Hunger zu leben ist besser. Alle Sendungen vom
7.,8.,16. u. 22. sind gut angekommen, nur das vom 18.1.
steht noch aus, wird aber sicherlich bei der nächsten Sendung
angerollt kommen, ebenso die anderen angekündigten Päck-
chen. Schickt Ihr ein Päckchen ab, zeigt es bitte brieflich
an mit der genauen Inhaltsangabe, denn kommt ein
Päckchen hier an, so wird es im Beisein des Empfängers
geöffnet, die Verpackung entfernt, der Inhalt auf eine
mitgebrachte Decke ausgeschüttet, nach Briefschaften usw.
durchsucht, Dosen werden nicht geöffnet, ebenso fabrik-
mässig geschlossene Päckchen von Mehl usw., dann kann
der Empfänger die Sachen in Empfang nehmen. Habt
Ihr also Gegenstände, die niemand sehen soll, wißt Ihr
Bescheid. Das Verpackungsmaterial bleibt zurück und
damit auch der Poststempel. Ich rate die Nummer der
Sendung auf eine Dose usw. zu schreiben.- Habe ich die
Fußlappen u. noch ein paar Strümpfe, ebenso das Hemd, so geht
es mir wieder auf diesem Gebiet gut, es wird auch wieder Sommer
und bis zum Winter sind wir Zivilisten und dann ist es
eine andere Sache, die Verpflegungsangelegenheit wird dann
auch gelöst sein. Wenn Ihr irgend etwas markenfrei kaufen
könnt, dann tut es.
Die Entlassungsaussichten sind sehr günstig geworden

man hat sogar jetzt schon einige Punkte und
Richtlinien herausgebracht. Zuerst kommen die
älteten Männer über 50, dann die von 40, dann
die Familienväter mit Kinder usw; also immerhin
hat man sich mit diesen Fragen eingehend be-
schäftigt, so kann man also hoffen.
Von einem Jahre haben wir uns auf die baldige Entlassung
gefreut und bangten in Stenag vor der Besichtigung
des Franzosen, die uns allen zum Verhängnis wurde.
Hans Wagner hat nichts mehr von sich hören lassen,
ob er seine Heimat verlassen hat? Hätte ich damals
in Soissons nur in die Zukunft blicken können, ich
hätte es gewiß anders gemacht, denn die anderen
sind schon längst entlassen worden und hatten es
bestimmt bis zum Schluß besser als ich jetzt. Ja, man
macht es nie richtig. Mit der Anwerbung zu Zivilarbeiten
hat man wenig Glück hier, oft kommen Gefangene, die
bei Bauern arbeiteten, zurück, da Italiener an
ihre Stelle getreten sind, doch beliebter sind die Deutschen.
Mit dem ehemaligen Komando stehen wir noch in Verbindung.
Sie arbeiten jetzt als Holzfäller und haben es nicht be-
sonders gut, schlechte Verpflegung, die Bauernarbeit ist
auch verboten. Die Entminung ist wegen starkem Schnee-
fall abgebrochen, geht aber im Frühjahr weiter. Ich hätte
den Verbindungsmann spielen sollen, wenn ich dort ge-
blieben wäre und somit auch nicht zu arbeiten brauchen.
Wo es nun besser wäre, bliebe zu denken. Na, es ist
auch egal, auf jeden Fall bin ich gut durch den
Winter gekommen, ohne zu frieren wie die anderen
Kameraden dort.
Für heute möchte ich schliessen, Grüße und Küsse Euch
alle recht herzlich Euer Kurt und Papi!
Für Volkerlein habe ich noch einen besonderen lieben Kuß!
Achtet bitte in der Antwort auf diesen Brief ob es ging!
Sendet bitte dringend Salz in Epinal ist keines zu bekommen!
Armes Frankreich . Klebstreifen sind auch erwünscht.


16.2. Meine Lieben! Da ich nun einmal den Teufel an
die Wand malte, geht der gestrige Brief in Fortsetzung weiter.
Heute ist nun wieder Sonntag, doch was soll dabei ein
Unterschied sein, - ein Tag gleicht dem anderen, mit
der einzigen Ausnahme, daß heute die Verpflegung
besser ist und am Morgen die Wäsche gewaschen
wurde. Allerdings Wäsche ist etwas zu viel gesagt,
meine Sachen bestehen nur noch aus Flicken,
doch bald ist keine Rettung mehr. Von
Seiten des Franzosen ist an Ersatz kaum zu denken.
Wir sind nicht arbeitende Uffz., die bei den Herrn
furchtbar angeschrieben sind und zwar aus folgen-
dem Grunde! Für jeden Gefangenen muß der Beschäf-
tiger eine gewisse Summe bezahlen, die zur Hälfte
zum Unterhalt der Lager dienen, der andere Teil
wird den Gefangenen gutgeschrieben. Regierungs-
unterstützung finanzieller Art sind seit längerer
Zeit abgeschlagen worden, d.h. je mehr Arbeiter
vorhanden sind, desto besser geht es dem Lager.
Nun sind aber hier 350 nicht arbeitende
Uffz., die dem Franzmann stark auf der Tasche
liegen und täglich ungeheure Summen ver-
zehren, denn verhungern kann er uns doch nicht
lassen. Nahrungsmittel usw. muß das Lager
alles selbst erstehen. Zuschüsse vom Roten Kreuz
gibt es keine mehr; ebenso ist die Betreuungs-
arbeit dieses Vereins sehr minimal. Vertreter
kommen zwar von Genf, man trägt die Mängel

vor, doch an eine Abstellung ist nicht zu
denken. Man sprach von Sammlungen in
Deutschland, doch niemand merkt hier etwas
davon. Wer weiß wo das alles wieder hinfließt.
Sollte also jemand an Euch herantreten zwecks
Spenden, macht lieber die Türe zu, sogar uns
hält man schon zu Spenden an. Wir müssen
also erst die Gegenstände bezahlen, die uns
dann 'gespendet werden ! Zu Weihnachten z.B.
bekamen wir vom Roten Kreuz eine Weihnachts-
karte, 5 engl. Zigaretten und ein Schreiben mit
einigen warmen Worten. Was die Verbesserung des
Essens betraf, hatten wir uns im Laufe der
Monate abgespart, bzw. vom Kantinenüberschuß
gekauft.- Was machen eigentlich meine Papiere
(Zeugnisse, Urkunde der Feuerwerkerschule usw.)
sind die noch vorhanden, ebenso meine Foto-
alben meiner Militärzeit von Norwegen!-
Seit einigen Tagen ist es wieder kälter ge-
worden, seit einigen Stunden begann es auch
wieder zu schneien, doch ich glaube, das werden
die letzten Zuckungen des Winters sein, dann
wird es wieder wärmer werden.
Für heute beende ich mein Schreiben mit den
herzlichsten Grüssen und Küssen Euer Kurt.

© Horst Decker


   


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