profilm.de Zeitzeugenberichte Lager Pouxeux

Brief aus dem französischen Gefangenenlager Pouxeux bei Epinal/Frankreich,
geschrieben am 02. März 1947 an Ehefrau in Frankfurt/Main

2.3.47 Ihr Lieben! Nach langer Wartezeit habe ich gestern an Volkers
Geburtstag wieder einmal Post bekommen und zwar die Briefe von
Mutsch vom 7.2. u. 9.2., ebenso wie den lb. Brief von Vater vom 9.2. u.
den Kalender. Das am 30.1. abgesandte Päckchen traf am 22.2.
hier ein; Inhalt: Nudeln, Zucker u. Dörrobst, also kam
nichts davon weg. Das Päckchen vom 18.1. mit Weizenschrot
u. Suppenwürfel blieb also noch aus; vielleicht kommt es
noch, da immer noch Sendungen vom Dezember ausgegeben
werden. Den anderen Sendungen sehe ich gerne entgegen,
doch bitte nur unter der Bedingung, daß Ihr es abgeben
könnt. Diese Woche ist wieder 1 Waggon angekommen, so daß
ich bald wieder etwas erhalten werde. Das Dörrobst habe ich
roh gegessen, die Nudeln verbrauchte ich zu verschiedenen
Hülsenfrüchten-Suppen, die in Verbindung mit den
Päckchen eines Kameraden gebraut wurden, ich muß
sagen, sie haben sehr gut geschmeckt. So hilft man
sich gegenseitig weiter, immer bedacht, den Magen
voll zu bekommen und somit wieder einige Stunden
weiterzukommen. - Das mit den ausrangierten Möbeln
ist ja allerhand, wie die Amis die Möbel behandeln
habe ich ja genug kennen gelernt. Sie gehen mit
ihrem Eigentum sehr robust um, wie machen sie es erst,
wenn sie sich in den Wohnungen der Besiegten befinden.
Alles wird mutwillig zerstört und demoliert . Und die

Deutschen können es sich ja wieder herrichten lassen.
Daß die neu angefertigten Möbel furchtbarer Qualität
sind, kann man sich denken, denn woher soll das
Material kommen, alles ist zerstört oder es fehlt an
den notwendigsten Rohstoffen. Ich glaubte Frankreich
sei arm, aber Deutschland ist noch viel ärmer.
Meinen Ehering habe ich noch und werde ihn auch
noch behalten, denn jetzt kommt ein derartiger
Diebstahl nicht mehr vor. Allerdings ist das mein
einziger Wertgegenstand. Schon in K'heim habe ich
vieles verloren. Ihr wißt doch, morgens um 7 Uhr mußten
wir antreten ohne Gepäck, wie man uns sagte nur
zur Zählung, doch daraus wurde der Marsch in
die Gefangenschaft. So blieb alles zurück. ich
hatte lediglich mein Taschentuch, Kamm, Spiegel, Uhr,
Messer und Portemonnaie bei mir (Ebenso ging es den Mitgefangenen). Von K'heim ging
es nach Oberweid, wo wir nochmals durchsucht wurden,
danach blieb mir nur noch Taschentuch, Portem. u.
Kamm. Meine Uhr raubte man mir auch! Den Ring hatte ich wohlsorglich versteckt,
sonst wäre er mir dort schon abgenommen worden.
Nach einigen Tagen Aufenthalt ging es weiter nach
Rosa in eine Scheune, wo eine noch genauere Personalien-
aufnahme stattfand. Hier wollte man mir ans
Leder, da man mich als Feuerwerker als sehr aufschluß-

gebend erkannte. Doch ich versteckte mich und
war beim ersten Abtransport dabei, ohne daß
mir etwas geschah. Dort vernichtete ich auch meinen
Reiseausweis bis aufs Soldbuch. Von Rosa fuhr
man uns dann nach Hünfeld, wo wir über
Nacht blieben, dann weiter ins Schlammlager
nach Kirchhain. Hier bekamen wir zum
erstenmale regelmäßige Verpflegung; also
nach rund 8 Tagen. Das Lager war ein einge-
zäunter Kartoffelacker, der halb unter Wasser stand, In-
halt ca. 10.000 Menschen, man mußte stehen und wieder
stehen, Tag und Nacht. Nach einigen Tagen der Qual
ging es von dort per Achse die Autobahn entlang
über Oberursel, Ffm, Mainz, Bingen nach Alzey,
dort Übernachtung und am anderen Tag nach
Trier. Hier die Unterkunft menschlicher, das erste
mal ein Dach über dem Kopfe. Von Trier nach
Stenay und dann nach Maly de Camp. Hier
gab es die Gefangenennummer und somit waren
wir listenmäßig erfaßt. Wurde jemand vorher
getötet, was sehr häufig vorkam, da die Posten
nachts in die Menge schossen, oder an den Strapazen
gestorben, so wurden sie als unbekannte Soldaten
verscharrt. In Maly wurden dann die Uffz. von
den Mannschaften getrennt, denn der Ami kannte
schon damals die Bestimmungen von Genf, nur
die Franzosen hielten sich nicht daran. Die Verpflegung
war dort fürchterlich, so daß ich mich dann nach
3 Wochen zum Arbeitskdo. meldete. Alfred Huth
kann auch davon ein Lied singen, er war

auch während der Zeit dort, ohne daß ich etwas
davon wußte. Am 10.5. kamen wir dann nach
Soissons und somit begann wieder der Aufstieg.
Mein Reisegepäck war also bis dorthin sehr gering.
Vom Nichts (sogar keinen Löffel) brachte ich es dann zu einem
Pappkarton mit den notwendigsten Utensilien, wie
Rasierzeug und Toilettenartikel, die ich mir
durch Tabaktausch einhandelte. Was ich
da alles mitmachte, möchte ich kein zweites
mal erleben. Wieviel Kameraden verstarben
elendig in Sumpf und Schlamm oder durch-
brachen in Wahnvorstellungen die Stachel-
drahtzäune und wurden von den M.G.-
garben ihrer amerikan. 'Beschützer' umge-
mäht. Manche Neger machten sich sogar
Freude und Vergnügen in die wogende
Masse zu schiessen, man diente ihnen
also als Schießscheibe und das kämpft
nun für den Frieden !!!!
Wehe ihnen!!!
Daß ich mein Geburtsdatum nicht
vergessen habe, dürfte man doch annehmen,
ebenso das Datum der André-Großeltern,
doch die Geburtsdaten der Meid-Großeltern
sind ´mir entfallen, um deren Mit-
teilung ich bitte.

Mutter glaubte, daß ich an ihrem Geburtstage
bei ihr sein könnte, ich rechnete auch damit,
doch leider wurde nichts daraus, so daß ich mit
meinen Wünschen nun doch nachträglich
angeschlittert komme. Hoffentlich wird es bald
zur Wahrheit, daß ich Vaters 61. Wiegenfest per-
sönlich miterleben kann. Zwar sind uns
schon die Entlassungsbestimmungen be-
kanntgegeben worden mit dem Beginn
'sofort', doch wann das 'sofort' beim
Franzosen beginnt, das ist fraglich. Es hieß
erst kommen die Älteren über 40, dann die
zwischen 30 - 40 u. Familienväter. Die Uffz.
werden besonders u. geschlossen entlassen,
also fallen nicht mit der Mannschaftsquote
zusammen. Wir halten es noch hier aus, wenn
es zwar etwas mehr Energie der Nerven er-
fordert, doch einmal muß der Franzose ran.-
Bei uns liegt seit dieser Woche wieder Schnee,
heute scheint aber die Sonne, dann wird es
bald mit ihm vorbei sein. Diese Woche gibt
es Mondwechsel und dann kann es nicht
mehr kälter werden. Allerdings hört man
hier noch keinen zarten Vogelsang, dafür ist
es in den Vogesen noch zu kalt. Morgen
vor einem Jahr trafen wir hier ein, nieder-
geschlagen, voller Hoffnung anf baldige
Erlösung aus der Gefangenschaft. Was uns
allen bevorstand konnte man nicht
ahnen. Nun sind wir ein Jahr hier. Trotz-
dem eine gewaltige Änderung, man

weiß, daß man doch bald befreit wird.-
Wenn nur bei Euch nicht der schwarze Markt
wäre, ich glaube dann wäre die Ernährungs-
lage auch besser. Alles verschwindet dort
und wird zu hohen Preisen verschachert,
Die Zeit, wo der Bauer wieder dankbar ist,
wenn man ihm etwas abkauft, wird
glaube ich, bald kommen, wenn Amerika
den Markt mit seinen Erzeugnissen
überschwemmen wird. Dann erinnert sich
noch so mancher Bauer der Städter.-
Hoffentlich hat es mit den Matrazen ge-
klappt, daß sie in Schierstein gemacht werden
können. Unser schönes Schlafzimmer steht
in K'heim und man muß sich not-
dürftig behelfen. Wie geht es ihnen denn
dort, arbeiten sie wieder in der Fabrik? -
Eure Einquartierung ist auch eingetroffen,
auf daß das Haus voll werde. Sehr lange
dürfte das Mädel nicht bei Euch wohnen,
denn ich komme ja auch bald nach
Hause. Sogar habe ich auch wieder einen
Anzug mehr; schade, daß damals der
schöne Anzug verbrannt ist, jetzt könnte
man ihn gebrauchen. Ich werde versuchen
auch meinen Militärmantel mitzubekommen,
er ist zwar stark abgetragen, doch immer
ist er noch gut.
Herzliche Grüsse, liebe Küsse und alles
Gute sendet Euch für heute Euer
Kurt u. Papi!

Ich schreibe extra aufdieses dünne Papier, damit es nicht aufträgt.

© Horst Decker


   


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